Beschußtest auf Gambeson und Kettengeflecht durch eine Armbrust

 

Andi Bichler von der Gruppe Historia vivens in seiner Darstellung eines Armbrustschützen aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts. Armbrustschützen zählten zu den relativ gut bezahlten und somit ausgerüsteten Spezialisten, entsprechend trägt er hier neben einem Helm (Eisenhut) auch ein Kettenhemd. Seine Armbrust besitzt einen Hornkompositbogen (zu dieser Zeit bestanden die Bögen noch nicht aus Metall) mit ca. 130 kg Zuggewicht. Laut Andi beträgt die ballistische Höchstschußweite mit 60 g-Bolzen etwa 240 m. Aus Sicherheitsgründen betrug unsere Distanz zum Ziel jedoch nicht ganz 10 m.

Verschossen werden Bolzen. Dem Armbrustschützen standen genau wie dem Bogenschützen für verschiedene Zwecke und Ziele unterschiedlich geformte Metallspitzen zur Verfügung. Bei einem vorangegangenen Beschußtest im Mai 2004 auf den gleichen Gambeson konnte beispielsweise eine klassische rhombische Bolzenspitze den Gambeson nicht durchschlagen, während eine Dorngeschoßspitze den Gambeson einseitig durchschlug (Eindringtiefe ca. 20 cm).

Den Bogen mit 130 kg Zuggewicht kann man nicht mehr einfach von Hand spannen. Man benötigt dafür einen Spannhaken an einem stabilen Hüftgürtel.

Andi demonstriert hier den Spannvorgang. Der Spannhaken wird in die Armbrustsehne eingehangen. Mit dem rechten Fuß steigt der Schütze in den Spannbügel der Armbrust. Richtet er sich nun auf, wird die Sehne gespannt. Trotz dieser praktischen Spannhilfe ein anstrengendes und im Vergleich zum Bogenschützen relativ langwieriges Unterfangen.

Der Vorteil gegenüber einem Bogenschützen ist hier gut zu sehen. Der Armbrustschütze kann mit gespannter Sehne und eingelegtem Bolzen beliebig lange sein Ziel anvisieren. Auf diesem Bild ist übrigens noch gut zu erkennen, daß dieser Schütze an seiner Seite zusätzlich ein kurzes, leicht gekrümmtes Hiebschwert (Falchion) für den Nahkampf trägt.

Geschossen wurde auf den sehr dicken Gambeson von Olaf Kirchert. Ein Gambeson in solcher Stärke wurde von der hochmittelalterlichen Infanterie wohl eher ohne zusätzliches Kettenhemd getragen. Der Gambeson besteht aus Leinen, dazwischen befinden sich mehrere Lagen dickes Wolltuch. Auf dem Gambeson hatten wir ein Stück vernietetes Kettengeflecht befestigt. Es handelt sich um Ringe mit einem flachen Querschnitt, der Durchmesser beträgt etwa 10 mm. Der Bolzen durchschlug diesen Ringpanzer und drang mit der Spitze in den Gambeson ein.

Kurioserweise hielt die Nietverbindung des getroffenen Ringes und der Ring riß an einer anderen Stelle. Ein Materialfehler?

Bei einem weiteren Schuß mit gleichen Bedingungen wurde das Ringgeflecht abermals durchdrungen, der Bolzen konnte jedoch nicht so tief in den Gambeson eindringen.

Da in diesem Fall die Nietverbindung nachgab, nicht aber das Ringmaterial, könnte es sein, daß das Kettengeflecht diesmal einen größeren Widerstand bieten konnte. Eventuell war aber auch nur der Gambeson an dieser Stelle dichter gepolstert.

Bei diesem dritten Schuß verfehlte der Bolzen das Geflecht und traf den Gambesonkragen, der nicht so dick gepolstert ist. Der Bolzen drang etwa so tief ein wie beim ersten Treffer. Eventuell lag also wirklich ein Materialfehler des beim ersten Schuß getroffenen Ringes vor.

Auch wenn dieser Schußtest nicht als wissenschaftliche Analyse angesehen werden will (zu viele Parameter waren unbekannt bzw. blieben unberücksichtigt), kann man daraus doch einige Dinge erkennen. Es zeigte sich, wie es überlieferte Texte aber auch Fundstücke ja ebenfalls belegen, daß ein Armbrustschütze mit seinem Bolzen eine hochmittelalterliche Rüstung, die im Wesentlichen aus der Kombination Kettengeflecht und Gambeson oder nur Gambeson bestand, durchdringen konnte. Allerdings hätte man damals auf wesentlich größere Distanz geschossen. Es zeigt sich aber auch, daß die Kombination Kettengeflecht und Gambeson (aber auch der Gambeson alleine) in der Lage war, die meiste Energie des Bolzen aufzubrauchen. Der Rüstungsträger wäre zwar verletzt, hätte bei einigen Treffern aber durchaus eine gute Überlebenschance gehabt. Verabschieden wir uns nun von dem irrtümlichen Gedanken, daß die hochmittelalterliche Rüstung den Träger vollkommen schützen konnte (keine Rüstung vermag dies bis zum heutigen Tage), stellte die Rüstung durchaus einen wesentlichen Schutzfaktor selbst gegen eine so gottlose Waffe wie die Armbrust dar.

Ergänzend möchte ich noch darauf hinweisen, daß bei einem ähnlichen Schußtest 2003 der Bolzen 2 Lagen Kettengeflecht und einen dünneren Gambeson vollständig durchschlug. Wird das Kettengeflecht übrigens beim Aufschlag nicht sofort durch Pfeil- oder Bolzenspitze zersprengt, verformen sich die ungehärteten Ringe zwar sehr stark, nehmen dadurch aber die auftreffende Energie auf.

Vielen Dank an Historia vivens für die gute Zusammenarbeit, ohne die dieser Bericht nicht möglich gewesen wäre. Und natürlich an unseren Olaf für die Bereitstellung seines inzwischen schon ziemlich durchlöcherten Gambeson.

Joachim Meinicke im September 2004

 

 

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