Geflügel und seine Haltung im Mittelalter

unter besonderer Berücksichtigung seiner Bedeutung für die mittelalterliche Küche

 

Ruth M. Hirschberg
Berlin, 2010

 

Geflügel wird auch heute noch weltweit wegen seiner vergleichsweise einfachen Haltung und Vermehrung sowie wegen des hohen ernährungsphysiologischen Wertes seiner Produkte Fleisch und Eier geschätzt.
Neben der modernen Produktionsform und der damit einhergehenden Haltung in Massenanlagen existiert heute nach wie vor parallel auch die kleinbäuerliche Geflügelhaltung, die in vielen Aspekten althergebrachten Formen entspricht und damit der mittelalterlichen Geflügelhaltung nahe kommt. Hier werden neben Eiern und Fleisch auch die weniger wirtschaftlichen ‚Nebenprodukte’ der Geflügelhaltung verwendet: Abgesehen von Federn und Daunen wird auch die Dungproduktion genutzt sowie das Geflügel als Futterverwerter und natürlicher ‚Schädlingsbekämpfer’ auf Grünflächen eingesetzt.

 

Haus- und Wildgeflügel in der mittelalterlichen Küche

So häufig wie das Huhn begegnet uns kein anderes Tier in Urkunden, Weistümern, Lagerbüchern und sonstigen mittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Überlieferungen. Insbesondere die ‚Zinshühner’ werden reichlich erwähnt, was auf die immense wirtschaftliche und kulinarische Bedeutung dieses wichtigen Nutzgeflügels hinweist. In den erhaltenen mittelalterlichen Kochbüchern sind verschiedene Zubereitungsformen von Hühnerfleisch unter den Fleischgerichten zahlenmäßig am stärksten vertreten. Junge Tauben waren vor allem im Spätmittelalter bei reicheren Bürgern auf dem Speiseplan beliebt. Daneben wurden Gans und Ente häufig gehalten sowie eine heute verwunderliche Vielzahl von wildlebenden Vögel bejagt bzw. mit Fallen gefangen und verzehrt. Neben den uns heute ‚geläufigen’ Wildgeflügeln wie Rebhuhn, Wachtel, Schnepfe oder Fasan wurde auch großen Wildvögeln wie Kranich, Storch, Reiher oder Kormoran sowie (für die unteren Stände) auch allen möglichen Kleinvögeln nachgestellt. Pfauen und Schwäne spielten unterdessen an der höfischen Tafel für besonders prunkvolle Schaugerichte eine besondere Rolle.
Auch Eier waren ein wichtiger Bestandteil der mittelalterlichen Küche. Sie wurden als Beilage zu Fleisch, Fisch und Wildbret gereicht. Ohne von deren wertvollen Inhaltsstoffen Kenntnis zu haben, wurden Eier ebenso wie Hühnerfleisch als nahrhafte Kranken- und Rekonvaleszentenspeise angesehen. Die 100 Insassen des Baseler Spitals verzehrten nach erhaltenen Unterlagen im Jahr etwa 37.000 (!) Eier, wobei man alleine für die Herstellung der österlichen Eierfladen dort 1.300 Hühner und 105 Gänseeier verbrauchte.

 

Hier werden die Lebern von geschlachteten Hühner weiter verarbeitet.
Tacuinum sanitatis, 14. Jh.; Wien Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob. S. n. 2644, Oberitalien um 1390, folio 80r.

Illustration zum Ausnehmen des Geflügels in einer spätmittelalterlichen Küche.
Tacuinum sanitatis, 14. Jh. Wien Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob. S. n. 2644, Oberitalien um 1390, folio 79v.

Interessant sind auch die ‚verschlungenen’ Wege, die die mittelalterlichen Menschen einschlugen, um die strengen Fastenregeln und Speisevorschriften zu umgehen. So wurden beispielsweise viele See- oder Zugvögel an Küstengebieten als ‚Meerestiere’ bzw. Fische eingestuft, da sie ja ‚aus dem Wasser kamen’ und dahin auch wieder verschwanden. Und damit kamen sie als Fastenspeise dann eben doch auf den Tisch. Hrabanus Maurus (9. Jh. n. Chr.), Abt in Fulda und Mainzer Erzbischof, begründet in ähnlicher ‚Lesart’, dass Hühner nicht zu den vierfüßigen Tieren gehören und daher an Fastentagen gegessen werden können.

Es besteht also Anlass genug, für die ‚mittelalterliche Küche’ einmal der Haltung von Geflügel im Mittelalter nachzugehen. Quellen sind dabei archäozoologische Funde sowie zeitgenössische Schrift- und Bildzeugnisse.


Domestikations- und Zuchtgeschichte des Nutzgeflügels

(überwiegend nach Benecke, 1994)

Das Huhn gehört zu den ältesten Haustieren und wurde vermutlich schon im frühen Neolithikum in Südostasien domestiziert, sichere Nachweise gibt es mindestens seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. Die Verbreitung des Haushuhns nach Europa incl. Großbritannien und Skandinavien scheint in der Latène-Zeit abgeschlossen. Dabei steht zuerst die Fleischnutzung im Vordergrund, die Legeleistung wurde erst durch die züchterische Bearbeitung, insbesondere in der Antike erhöht. Eine erste große Blüte erlebte die Hühnerhaltung in der römischen Landwirtschaft. Schriftquellen genauso wie archäozoologische Funde weisen darauf hin, dass hier bereits verschiedene Haushuhnformen vorkamen, die sich in Größe und Wuchs sowie Färbung und Zeichnung deutlich von der Wildform unterscheiden. Selbst Zwerghuhnformen als Liebhaberobjekte können belegt werden. Insgesamt ähneln die antiken Haushuhnrassen unseren heutigen kleinen Hühnerrassen wie Bankavi- oder Bantam-Hühnern, daneben existiert ein Leghorn- und ein Italiener-ähnlicher Typ. Regelmäßige Kastrierung (die sogenannte Kapaunisierung) wird von den Römern bereits zum Zwecke der Mast und als Fortplanzungskontrolle eingesetzt. Während Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit (4. - 6. Jh. n. Chr.) geht das hohe Wissen über Haltung und Zucht verloren, was sich in der Abnahme der Körpergröße und dem Rückgang der Formenvielfalt im Knochenfundmaterial manifestiert. Am Übergang zum Mittelalter nimmt die Hühnerhaltung im Rahmen der Ernährungswirtschaft wieder an Bedeutung zu, der Anteil an Hühnerknochen erhöht sich entsprechend auf ca. das Vierfache im Vergleich zur Völkerwanderungszeit. Alters- und Geschlechterverhältnis im Fundgut weisen auf eine zunehmende Differenzierung der Hühnernutzung in der mittelalterlichen Geflügelwirtschaft hin – es entstehen Landrassen mit stärkerer Fleisch- bzw. stärkerer Ei-Nutzung. Während des 13. bis 15. Jahrhunderts ist ein deutlicher Aufschwung der Züchtungsbemühungen festzuhalten: die mittlere Körpergröße nimmt ebenso zu wie die Formenvielfalt. Die archäozoologischen Befunden sprechen für das Auftreten erster echter Haushuhnrassen in dieser Zeit , so entstehen um 1300 besondere Formen wie das Haubenhuhn, das in etwa dem heutigem Paduaner-Huhn gleicht. In größerem Umfang setzt die Rassezucht allerdings erst in der frühen Neuzeit ein, diese basiert jedoch auf den Landhuhnrassen des späten Mittelalters. Neben den bereits genannten Rassen zählen die heutigen Thüringer Barthühner, die Rheinländer, die Hamburger und die Altsteirer Hühner zu den ‚mittelalterlichen’ Hühnertypen.

Haushenne im Typus rebhuhnfarbiger Italiener, daneben eine Haustaube.
Aus dem Vogelbuch Friedrichs II. Italien, um 1260.Biblioteca Apostolica Vaticana, Codex Vaticanus, Ms. Pal. Lat. 1071, Süditalien, fol. 18r.

 

Prächtiger roter Gockel.
Pierpoint Morgan Library, MS M.81 fol. 57v, England, ca. 1185 .

Hahnenkampf.
Pierpont Morgan Library, MS M.g24 fol. 11r, vermutlich Tournai, um 1350.

Hahn und Henne mit typischem Geschlechtsdimorphismus.
Pierpont Morgan Library, MS M.358 fol. 110v, Provence, 1440-1450.

Links: toter Pfau, dessen Fleisch nach der Originalbeschreibung angeblich nicht verwesen soll;
rechts: Hühner.
Der Text beschreibt, dass die Henne viel legt, wenn sie halbgekochte Gerste frisst und wenig, wenn sie Bohnen frisst.
Naturgeschichtlicher Teil der Condordantiae caritatis des Ullrich von Lilienfeld:
Lilienfeld, Österreich, Stiftsbibliothek: Codex 151, fol. 73v, um 1350

 

Hahnenkampf. Die Illustration zeigt drei Hähne verschiedenen Typs: mit weiße, braun-rotem und grauem Gefieder.
Lilienfeld, Österreich, Stiftsbibliothek: Codex 151, fol. 99v, um 1350

Die Domestikation der Gans erfolgte ab dem 2. Jahrtausend v. Chr. Die Stammform, die Graugans, ist das schwerste und größte Wildgeflügel Europas. Bei der Gans stehen neben Fleisch und Federn auch die Produktion von Fett (und Fettlebern) im Vordergrund. Bereits bei den alten Ägyptern wurden Wildgänse mit Schlag- oder Klappnetzen gefangen und dann in Geflügelgehegen (zusammen mit Enten, Tauben und Kranichen) gehalten und gemästet. Aus dieser Zeit existieren schon Abbildungen vom sogenannten Stopfen der Tiere, also einer erzwungenen Futteraufnahme zum besseren Masterfolg bzw. für die Fettleberproduktion. In diese Zeit fällt wohl auch der Übergang von der Gefangenschaftshaltung der Wildform zur planmäßigen Züchtung. Dies zeigt sich ebenfalls an Abbildungen, die bereits weiße Gänse neben der grauen Wildform darstellen. Nachweise für die erste Domestikation von Gänsen in Europa sind schwierig, da hier frühe Bild- und Schriftquellen fehlen und die Unterscheidung von Wild- und Hausgans anhand von Skelettfunden äußerst schwierig ist. Sichere Nachweise stammen hier aus der Späthallstatt- und Latènezeit (8.- 1. Jh. v. Chr.) Hier finden sich schon typische Veränderungen des Skeletts (kräftigerer Bau der Beinknochen), die Größe entspricht allerdings noch der Wildform. Die Haltung von Gänsen in Mitteleuropa setzt erst im Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit ein und fällt damit in das gleiche Zeitfenster wie die Verbreitung des Haushuhns. Vermutlich löste die Hühnerhaltung hier die Domestikation dieses großen einheimischen Wildgeflügels aus. Nach römischen Autoren ließ man noch in der Kaiserzeit eingesammelte Eier wilder Graugänse durch Haushühner ausbrüten, dies war vermutlich der erste Weg der Gänsedomestikation. Die Gans gehört sein der Eisenzeit zum Haustierbestand, bleibt aber zahlenmäßig hinter dem Huhn zurück. Im Vordergrund stand sicherlich die Fleischnutzung, daneben wurden sie zur Feder-/Daunengewinnung auch gerupft. Bereits Plinius d. Ä. (1. Jh. n. Chr.) beschreibt die hohe Federqualität der kleinwüchsigen weißen Gänse der Germanien, die von den Römern in Form von großen Herden zur Daunengewinnung bezogen wurden. Hier zeigt sich also schon ein hoher Zuchtstand, der diese spezielle Leistung der Daunenqualität ermöglicht. Die Gänse wurden wohl zweimal pro Jahr gerupft. Generell waren Gänse bei den Römern ein beliebtes und häufig gehaltenes Nutzgeflügel: Fleisch, Eier und besonders die Gänseleber waren beliebte Nahrungsmittel, während Gänsefett auch medizinische Verwendung fand. Entsprechend wurden Gänse mit einer Mischung aus Mehl, Milch und Honig gestopft. Im Mittelalter war die Gänsehaltung weit verbreitet, fast überall war die Gans laut archäologischen Knochenfunden das zweithäufigste Wirtschaftsgeflügel. Eine Ausnahme stellen hier die Wurtensiedlung der Nordseeküsten dar – hier waren auf dem weiten Grasland der Marschen Gänse sogar häufiger als Hühner. Wie die Hühnerhaltung nimmt auch die Gänsehaltung nach einem vorübergehenden Rückgang während der Völkerwanderungszeit am Übergang zum Mittelalter stark zu. Hierbei nehmen Gänseknochen in mittelalterlichen Bürgen einen überproportional hohen Anteil am Knochenfundgut ein, was darauf hinweist, dass Gänse eine bevorzugt eingeforderte Abgabe an den Feudalherren darstellten. In der Größe entsprachen die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gänse noch der Wildform – vermutlich, weil ständig die Wildform (durch das Sammeln von Eiern der Wildgans) in den Haustierbestand eingekreuzt wurde. In den mittelalterlichen Bestiarien werden weiße und mehrfarbige ‚Rassen’ von den wild-farbenen Hausgänsen unterschieden. Außerdem wird bereits erwähnt, dass die deutschen Gänse eine bessere Mastleistung als andere Gänserassen aufweisen. Bei der eigentlichen Rassebildung stand zunächst die Erhöhung der Körpergröße im Vordergrund, dann auch des Fettgehalts und erst sehr spät auch der Reproduktionsleistung. Die ältesten Hausgansrassen sind die Emdener Hausgans und die Pommersche Gans.

Verschiedene Gänse.
Das Falkenbuch Friedrichs II zeigt in verschiedenen Illustrationen die Blässgans, die Graugans, die Hausgans, die Schneegans, die Saatgans, die Ringelgans, die Nonnengans, die Rothalsgans und, die Nilgans.
Aus dem Vogelbuch Friedrichs II. Italien, um 1260.Biblioteca Apostolica Vaticana, Codex Vaticanus, Ms. Pal. Lat. 1071, Süditalien, fol. 4r.

Wilde Gänse (oder wildfarbene Hausgänse?) auf der Weide.
Luttrell Psalter, England um 1330-1340; London, British Library, Add. Ms. 42130, fol. 19.

 

Die Ente wird vor allem wegen ihres Fleisches und der Federn, weniger zur Eierproduktion gehalten. Die Hausente geht auf die weit verbreitete Wildform Stockente zurück, wobei in der Entenhaltung sehr lange keine echte Domestikation stattfand. Im Alten Ägypten sowie in Mesopotamien wurden zwar Enten in Gehegen gehalten, doch handelte es sich hierbei noch um Wildfänge bzw. um Aufzuchten aus eingesammelten und von Haushühnern ausgebrüteten Eiern wilder Enten. Auch bei den Römern ging die Entenhaltung nicht über eine reine Gefangenschaftshaltung hinaus, diese erreichte aber ebenfalls wie die Hühner- und Gänsehaltung einen hohen Stand. Außerhalb des antiken Kulturbereiches sind innerhalb Europas kaum Aussagen über eine Domestikation möglich, da wie bereits geschildert die Schrift- und Bildquellen fehlen und es für die Ente auch keine sicheren Unterscheidungsmerkmale zwischen Haus- und Wildform anhand des Skeletts gibt. Unter den (Wild?)Vogelknochen ist die Stockente allerdings die häufigste Art. Ihre weite Verbreitung und große Häufigkeit erlaubte praktisch überall ihre Bejagung. Vermutlich war die Ente auch schon früh ein Kulturfolger und hielt sich so in den Siedlungsbereichen auf. Aus diesem Grund gab es vermutlich lange Zeit kein Interesse an einer Domestikation dieses Wildvogels. Nur dort, wo die Ente infolge fehlender Nist- und Brutplätze natürlicherweise nicht vorkam, ging man zur Domestikation über. Aus der frühgeschichtlichen Siedlung Eketorp auf Ödland ist beispielsweise ein gehäuftes Auftreten von Jungtierknochen bekannt, was als Beleg für die Ente im Hausstand bzw. als Zuchtbeleg angesehen wird. Ein Vergleich der Knochenfunde aus den verschiedenen Siedlungsphasen in Eketorp von ca. 400 bis 1300 n. Chr. zeigt, dass es zu einer erheblichen Zunahme der Größenvariabilität kommt – ein sicheres Anzeichen für Domestikation. Voraussetzung für die Domestikation ist die Reduktion der Flugvermögens, die in engem Zusammenhang mit der Zunahme der Körpergröße steht. Im Aussehen ähneln diese frühen Hausentenbestände jedoch noch sehr der Wildform. Die Schriftquellen des frühen Mittelalters werfen ein unterschiedliches Licht auf den Stand der Entenhaltung: im den Volksrechten der Salfranken (um 510) werden bereits ‚zahme Enten’ genannt, im „Capitulare de villis“ Karls des Großen (784 n. Chr.) werden Enten nicht unter dem Hausgeflügel aufgeführt. Enten treten als ‚echte’ Haustiere demnach erst seit dem späten Mittelalter bzw. der frühen Neuzeit auf. Das Knochenfundspektrum zeigt eine deutliche Zunahme der Entenknochen im Spätmittelalter, insbesondere in den Städten. Die Gemälde der niederländischen Maler des 17. Jahrhunderts zeigen Hausenten mit unterschiedlicher Gefiederfärbung – erste Landentenrassen entstehen. Die modernen Hausentenrassen sind erst ein Züchtungserfolg der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Stockentenerpel und Wildgans.
Aus dem Vogelbuch Friedrichs II. Italien, um 1260.Biblioteca Apostolica Vaticana, Codex Vaticanus, Ms. Pal. Lat. 1071, Süditalien, fol. 19r.

Ein Bestiarium aus dem 13. Jahrhundert zeigt bereits (Haus-)Enten mit verschieden gefärbtem Federkleid. Die Wildentenform ist eindeutig am grünen Kopf des Erpels zu erkennen. Aberdeen Bestiarium. University of Aberdeen, Ms 24, fol. 59r, 12. und 13. Jahrhundert

 

Die Taube ist ebenfalls ein altes Hausgeflügel mit weltweiter Verbreitung. Am Anfang der Nutzungsgeschichte stehen Fleisch-, Feder- und Dungproduktion, erst später stehen Ziertaubenzucht, Nachrichtendienst und Hobbyhaltung im Vordergrund. Die Haustaube stammt von der wilden Felsentaube ab, die im Aussehen weitestgehend der heute in den Großstädten verwilderten Haustaube gleicht. Die Anfänge der Taubendomestikation sind unklar, älteste Abbildungen der Haustaube stammen aus dem 5. Jahrtausend v. Chr. im syrisch-nordirakischen Raum sowie aus Palästina. Vorderasien war ein frühes Zentrum der Taubenhaltung, vermutlich religiös/kultisch motiviert, das die Taube ein Symbol der Muttergottheit, der Liebe und der Fruchtbarkeit war. In der griechischen und römischen Antike waren Haustauben ebenfalls früh bekannt und insbesondere weiße Tauben sehr geschätzt. Bei den Römern überwog die Fleischnutzung, insbesondere Jungtauben waren sehr geschätzt. Gelegentlich wurden auch Ringel- und Turteltauben gehalten. Mit den Römern gelangte die Haustaube auch in die provinzialrömischen Regionen nördlich der Alpen, allerdings ging die Haustaubenhaltung wahrscheinlich mit dem Niedergang des Römischen Reichs wieder verloren. Aus der Völkerwanderungszeit sind jedenfalls keine entsprechenden Knochenfunde bekannt. Erst im Frühmittelalter beginnt dann wieder eine erneute Ausbreitung, es sind Knochenfunde aus den frühmittelalterlichen Siedlungen bekannt und es erfolgt eine allmähliche Ausbreitung über ganz Europa. Für das Jahr 1397 wird in Prag explizit ein Taubenhändler genannt, was auf einen entsprechenden Bedarf in den Städten hinweist sowie produktive Haltungsformen (Taubenschläge, s.u.) voraussetzt. Das „Vogelbuch“ Konrad Gessners von 1555 beschreibt bereits eine große Formenvielfalt der Hautauben in der Ausfärbung sowie bezüglich der Sonderbildungen des Kopf- und Beingefieders – Beginn der Liebhaberzucht. In den Niederlanden werden für das 16. Jahrhundert erste Taubenzuchtvereine beschrieben.

Verschiedene Tauben.
Das Falkenbuch Friedrichs des II zeigt in verschiedenen Inllustrationen die Haustaube, die Hohltaube, die Ringeltaube und die Turteltaube.
Aus dem Vogelbuch Friedrichs II. Italien, um 1260.Biblioteca Apostolica Vaticana, Codex Vaticanus, Ms. Pal. Lat. 1071, Süditalien, fol. 11r.

 

Die ältesten Darstellungen von Pfauen stammen von früheisenzeitlichen Gefäßmalereien der Industal-Kulturen (2. Hälfte des 3. Jt. v. Chr.). Die Römer hielten den Pfau ursprünglich als Ziervogel, später auch zur Fleischnutzung. Schon hier wurde dieser Vogel als Besonderheit lukullischer Gastmähler in seinem eigenen Federkleid aufgetragen, was dann auch im Mittelalter wieder aufgenommen wurde. Wie für die Taubenhaltung beschrieben, verschwand die Pfauenhaltung vorübergehend während der Völkerwanderungszeit in Mitteleuropa, um dann im Mittelalter v. a. in Burgen und Palästen erneut nachweisbar zu werden. Pfauen wurden auf den Gutshöfen Karls des Großen gehalten, hier war er sowohl Ziervogel als auch Fleischlieferant für die höfische Tafel. Die mittelalterlichen Bestiarien beschreiben sein Fleisch als ‚hart’ (zäh) und schwierig zu kochen. Im Spätmittelalter wurden die Schmuckfedern von Pfauen als Kleidungsaccessoire (z. B. Hutschmuck) sehr beliebt.

Radschlagender Pfau.
Lilienfeld, Österreich, Stiftsbibliothek: Codex 151, fol. 231v, um 1350

Pfauenherde. Im Originaltext heisst es dazu: Der Pfau erkenn sein Junges erst dann, wenn er es an seinem Krönchen erkennt.
Lilienfeld, Österreich, Stiftsbibliothek: Codex 151, fol.151v , um 1350

Hochmittelalterliche Abbildung eines Pfaus mit Prachtgefieder.
Aberdeen Bestiarium. University of Aberdeen, Ms 24, fol. 59r, 12. und 13. Jahrhundert

 

Von den uns heute geläufigen Hausgeflügelarten sind Pute, Höckergans und Warzenente für die ‚mittelalterliche Küche’ ungeeignet, da diese Tiere erst in der frühen Neuzeit in Europa verbreitet wurden.

Das aus Afrika stammende Perlhuhn war bereits im Altertum bekannt, wurde insbesondere von den Römern zur Fleischgewinnung wie zum Geflügelkampf sehr geschätzt und systematisch seit dem 1. Jh. nach Chr. gezüchtet. Über die Verbreitung im Mittelalter kann nur wenig gesagt werden, Abbildungen aus dem späten 15. Jahrhundert sind allerdings bekannt. Den meisten Autoren zufolge geht das ‚Wiederauftreten’ des Perlhuhns im ausgehenden 15. bzw. dann im 16. Jahrhundert auf Importe durch die portugiesischen Seefahrer zurück.

Seltene Darstellung eines Perlhuhns.
Italienisches Stundenbuch, um 1480. Pierpoint Morgan Library, MS M.187 fol. 36v, Ferrara, Italien

 

Die Wachtel wurde nach römischen Schriftstellern in der Antike gerne zum Verzehr gemästet, allerdings verschwand sie dann im 1. Jahrhundert nach Christus vom Speisezettel, da sie sich angeblich überwiegend von giftigen Sämereien ernähren solle. Diese Aussage wurde dann über die mittelalterlichen Bestiarien lange weiter verbreitet, obwohl Wachteln im Mittelalter gerne gejagt und dann sicherlich auch verspeist wurden. Es fand jedenfalls keine Domestikation der europäischen Wildwachtel statt.

Fasane und Rebhühner wurden in Volieren gehalten und wohl auch ähnlich wie für Enten beschrieben ‚gezüchtet’, um bessere Aufzuchtraten zu erhalten, allerdings ebenfalls nicht domestiziert.

Eier von wilden Vögeln wie hier Rebhühnern, aber auch Fasanen werden gesammelt,
um sie entweder für den eigenen Gebrauch auszubrüten oder direkt für die Küche zu verwenden.
Tacuinum sanitatis. 4. Jh; Wien Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob. S. n. 2644, , Oberitalien um 1390, folio 66v.

 

Rebhühner. Im Originaltext heisst es dazu: Rebhühner werden durch den Luftzug trächtig, der von den Männchen herweht.
Lilienfeld, Österreich, Stiftsbibliothek: Codex 151, fol. 226v, um 1350

 

Wildgeflügel im Gehege.
Lombardisches Stundenbuch, Milan, um 1470; Pierpont Morgan Library, New York, Manuscript M.454, f. 100r.

 

 

Haltungsformen im Mittelalter

Angaben aus der römischen Landwirtschaftsliteratur

Über die bereits hoch entwickelten antiken Landwirtschaftspraktiken berichten ausführlich Autoren wie Varro (1. Jh. v. Chr.) und Columella (1. Jh. n. Chr.). Hühner und anderes Nutzgeflügel wurden auf spezialisierten Geflügelhöfen gehalten. Männliche Tiere wurden zur Verbesserung der Mast und als Fortpflanzungskontrolle bereits regelmäßig kastriert (kapaunisiert). Dafür sind zwei Methoden überliefert: das Absengen des Sporns (keine Kastration im eigentlichen Sinne, führt aber zur Herabsetzung des aggressiven männlichen Verhaltens, das der Hahn so seiner wichtigsten Waffen beraubt wird) und das Ausbrennen mit glühenden Eisen an der Lende, das durch großflächige Narbenbildung bei diesen Tieren zum Funktionsverlust der im Leib benachbart gelegenen Hoden führt.

 

Ein Kapaun, also ein kastrierter Hahn.
Um ihn innerhalb der Geflügelherde kenntlich zu machen, wurde ihm eine amputierte Spornanlage auf dem Kopf implantiert.. Im Text wurde irrtümlich "gallina indica" (= Perlhuhn) notiert.
Aus dem Vogelbuch Friedrichs II. Italien, um 1260. Biblioteca Apostolica Vaticana, Codex Vaticanus, Ms. Pal. Lat. 1071,Süditalien, fol. 19r.


Für die Gänsehaltung wurden auf dem Gelände der Geflügelhöfe kleine Verschläge gebaut, in denen die Tiere in bereitgestellten Körben ihre Nester bauen und Eier legen konnten. Auf großen Landgütern legte man gesonderte Gänsehöfe an, die von hohen Mauern eingegrenzt wurden, an deren Innenseiten Wetterdächer angebracht waren. Darunter befanden sich aus Bruch- oder Ziegelsteinen gefertigte Ställe von ca. 90 x 90 cm. Junggänse (Gössel) wurden in separaten Herden gehalten, die nachts in besonderen Verschlägen untergebracht wurden. Als Futtermittel wurden Endivien, Wicken, Klee, Lattich, Kräuter und Gerste eingesetzt, für die spezielle Mastfütterung Gerstengrütze und Weizenmehl.
Um die Gelegezahl zu erhöhen, wurden die Eier oft aus den Legenestern entfernt und Hennen zum Ausbrüten untergeschoben. Auf diese Weise erhöhte sich die Gelegezahl auf bis zu 3 Gelegen pro Gans innerhalb einer Brutzeit, i.d.R. 10 bis 12 Eier pro Gans. Die speziellen Anlagen für die Entenhaltung waren ebenfalls eingezäunt und i.d.R. zusätzlich von Netzen überzogen, um die Tiere vor Raubvögeln zu schützen genauso wie um sie am Fortfliegen zu hindern. Es gab steinerne Nistzellen von 30 x 30 x 30 cm. Aus Nestern wildlebender Enten eingesammelte Eier wurden wiederum Hennen zum Ausbrüten untergeschoben. Die unter diesen Aufzuchtbedingungen geschlüpften Wildenten legten ihr Wildverhalten ab und es erfolgte dann eine Fortpflanzung im Entengehege. Auch hier wurden die Gelegezahlen durch gezielte Ei-Entnahme erhöht. Als Futter verwendete man Hirse, Weizen, Gerste, Traben, Weintrester, Eicheln sowie kleine Fische, Krebse und Wassertiere. Enten wurden nur selten gemästet oder gar gestopft. Sowohl für Enten als auch Gänse wurden künstliche Teiche angelegt.
Die Taubenhaltung als Liebhabereiobjekt erfolgte in kleinen Türmen, die auf Dächern angelegt wurden. Auf den Landgütern entstanden spezielle Taubenhäuser, die Columbarien. Diese waren hausartige Verschläge mit schmalem Eingang für den Taubenwärter und kleinen Fenstern, die zum Schutz vor Ungeziefer mit Netzwerk überzogen waren. Daneben gab es spezielle Einflug- und Ausflugöffnungen. Für jedes Taubenpaar war eine spezielle Zelle eingerichtet. Futter wurde n Trägen gereicht, die von außen durch Röhren befüllt werden konnten. Als Futtermittel wurden Hirse, Weizen, Gerste, Erbsen, Bohnen und Linsen eingesetzt, für die Mast wurden die Tauben mit Gerstenmehlnudeln gestopft.
Um die kostbaren Pfauen vor Raubtieren zu schützen, wurden sie zur Fleischproduktion in großen Herden auf mit Bäumen und Buschwerk bestandenen Inseln gehalten. Alternativ wurden auch mit hohen Zäunen eingezäunte Gehege genutzt. Oft gab es einen speziellen Pfauenstall mit Wohnung für den Wärter. Auch hier wurden die Eier oft Hühnern untergeschoben und die so aufgezogenen Jungtiere im Alter von 7 Monate in den Pfauenstall verbracht.

Eine Bäuerin füttert ihre Henne mit Küken.
Luttrell Psalter, England um 1330-1340; London, British Library, Add. Ms. 42130, fol. 166v.

Ein Gänsehirt wehrt den Angriff eines Raubvogels auf seine kleine Gänseherde ab.
Luttrell Psalter, England um 1330-1340;London, British Library, Add. Ms. 42130, fol. 166v.

Gänsehaltung im Spätmittelalter: Die dem Wildtyp noch sehr ähnelnden Tiere werden in einem ummauerten Hof gehalten, der Nistflächen zur Eiablage bietet. Im Hintergrund ist evtl. ein Stall mit Einschlupf-Luken abgebildet.
Aus einem Gesundheitsbuch (Tacuinum sanitatis) des 14. Jahrhunderts.
Wien Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob. S. n. 2644, Oberitalien um 1390, folio 66r.



Mittelalterliche Quellen

Das ‚Capitulare de villis’ Karls des Großen (entstanden um 812) regelt die Haltung von Hühnern und Gänsen an Mühlen. An den Speichern der Königshöfe sollen mindestens 100 Hühner und 30 Gänse gehalten werden. Dies impliziert ein organisierte Massentierhaltung ähnlich der römischen Geflügelhöfe. Die Haltung an Mühlen wurde wohl wegen des dort reichlich verfügbaren Mast-Getreidefutters angeordnet. Auch die Vorschriften des Sachsenspiegels (um 1250) weisen auf eine organisierte Haltungsform hin – Verlustentschädigungen für Hühner betragen dort ½ Pfennig und für Gänse oder Enten 1 Pfennig, für Brutgänse oder Bruthennen dagegen 3 Pfennige. Neben der organisierten Massenhaltung gab es sicherlich in großer Verbreitung die ‚kleinbäuerliche’ Geflügelhaltung bzw. die Haltung von Einzeltieren zur Eierproduktion oder die Aufzucht einzelner Masttiere bei den unteren Ständen. Die ‚kleinbäuerliche’ Haltung ist es dann auch, die meistens in den mittelalterlichen Bildwerken dargestellt wird. Hühner werden in hölzernen Verschlagställen, oftmals mit erkennbarer Hühnertreppe, gehalten und erhalten auf dem Hof Auslauf, wo sie auch mit Getreide gefüttert werden. Letzteres ist ein beliebtes Bildmotiv in der zeitgenössischen Darstellung. Nach einer neueren Untersuchung zur Geflügelhaltung im spätmittelalterlichen England verschob sich im 14. Jahrhundert – vermutlich im Zusammenhang mit der durch die Pestzüge verringerten Bevölkerungszahl – die Massenhaltung auf herrschaftlichen Geflügelhöfen zugunsten der kleinbäuerlichen Haltung.

Kleinbäuerliche Hühnerhaltung mit einem einfachen Hühnerverschlag in Flechtwandkonstruktion.
Die Hühner werden von der Frau des Hauses gefüttert.
Tacuinum sanitatis, 14. Jh; Wien Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob. S. n. 2644, , Oberitalien um 1390, folio 65r.

Mittelalterliche Hühnerhaltung mit Verschlag und Hühnerleiter. Die Hausfrau sammelt die Eier ein.
Aus einem Gesundheitsbuch (Tacuinum sanitatis) des 14. Jahrhunderts.
Wien Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob. S. n. 2644, Oberitalien um 1390, folio 65v.

Ein einfacher Verschlag für das Geflügel. Aus einer illustrierten Willehalm-Handschrift, Wien um 1387.
Österreichische Nationalbibliothek ; cod. s. n. 2643 ; fol. 403r,

Mittelalterlicher Hühnerstall auf Ständer - hier sind die Tiere möglicherweise besser vor Raubtieren wie Fuchs und Marder geschützt.
Aus einer Willehalm-Handschrift um 1320; Österreichische Nationalbibliothek, Codex 2670 fol388r.


Taubenschläge nach römischem Vorbild sind ebenfalls für das Mittelalter nachweisbar. Kleinere Taubenschläge waren teils in Dächer, Torhäuser oder Türme etc. integriert, die großen Exemplare standen üblicherweise frei. Vor allem in Frankreich war das Recht, einen frei stehenden Taubenschlag zu halten, ein Hoheitsrecht des Grundherrn. Der in Massen anfallende Dünger sowohl im Taubenschlag als auch in der Umgebung (durch die ein- und ausfliegenden Tauben) war wertvoll, führte aber wohl auch oft zu Beschwerden der unmittelbaren Nachbarn. Die Tauben waren auch oft lästig, wenn auf angrenzenden Feldern das Saatgetreide ausgebracht wurde. Die Größen der Taubenschläge variierten von wenigen Paaren (kleinbäuerliche Haltung) bis hin zu riesigen Taubenschlägen auf großen Gütern mit 500 bis 1000 Paaren (v.a. in Frankreich und England).

Im Hintergrund einer Verkündigungsszene aus dem 15. Jahrhundert ist ein großer Taubenschlag zu erkennen.
Pierpoint Morgan Library, MS M.251 fol. 96v, Tournai, Belgien, ca. 1470.

 

In einem Kalender sind im Monatsbild November ein Taubenschlag sowie einfache Ställe zu erkennen.
Flämisches Stundenbuch und Kalender, um 1515, Brüssel; Pierpoint Morgan Library, MS M.399 fol. 12v.

In diesem Kalender sind im Monatsbild November ein Taubenschlag (rechts) sowie einfache Ställe zu erkennen.
Flämisches Stundenbuch und Kalender. Pierpoint Morgan Library, MS M.399 fol. 12v, Brüssel, Belgien, ca. 1515

Die Angst vor Verlusten durch Geflügelräuber wie Fuchs oder Raubvögel muss für die mittelalterlichen Bauern sehr real gewesen sein – die Abwehr der Raubtiere durch Geflügelhirten ebenso wie die Darstellung der Räuber sozusagen ‚in flagranti’ ist ein wiederkehrende Motiv in den zeitgenössischen Abbildungen.

"Fuchs, Du hast die Gans gestohlen... "
Luttrell Psalter, England um 1330-1340; London, British Library, Add. Ms. 42130, fol. 31.

Der Fuchs als Geflügeldieb.
Illustrierte Ausgabe des Livre da la Chasse des Gaston Phoebus, 15. Jh. Pierpont Morgan Library. MS M.1044 fol. 25v, Paris um 1410.

Der Fuchs als Hühnerdieb – ein häufiges Motiv in mittelalterlichen Illuminationen.
Stundenbuch der Charlotte von Savoyen, Paris, um 1420; Pierpoint Morgan Library, S M.1004 fol. 172r

 

Mittelalterliche Rechtsvorschriften zur Geflügelhaltung

Bezüglich der Geflügelhaltung existieren besondere Rechtsvorschriften, die durch die Tiere verursachten Schäden regulieren. Hierbei wird vor allem geregelt, wie weit sich die Vögel ungehindert vom Hof bewegen dürfen – um zu verhindern, dass nachbarliche Gärten und Felder verwüstet oder abgeerntet werden. Viele Rechtsbücher definieren diese Entfernung so weit, wie die auf den Dachfirst gestiegene Bäuerin einen Gegenstand vom Dach werfen kann; z. B. eine Sichel, einen Hammer oder ein Ei im Kopftuch. Dass meist die Bäuerin erwähnt wird, weist daraufhin, dass üblicherweise sie die Verantwortliche für die Geflügelhaltung ist.
Im Sachsenspiegel wird vorgeschrieben, dass Gänse nicht gepfändet werden dürfen, auch wenn sie die Felder eines anderen Besitzers verwüsten oder dessen Korn fressen. Der Geschädigte darf aber seine Hunde auf sie hetzen und diese dürfen die eingedrungenen Tiere tot beißen, ohne dass der Grundherr dafür bestraft werden kann. Für Gänse im fremden Kornfeld gibt es auch diese Vorschrift: ... „und wer Gänse hat, die über die Hecke fliegen, denen soll man den Kopf durch den Zaun stoßen, ihren Hintern darüberwerfen und sie so hängenlassen. Kommt sie los, soll sie frei sein.“ (15. Jh, Schweizer Weistum). Auch die Abgabe von Geflügel wird hier geregelt: der Fleischzehnt incl. Hühnerzehnt ist am Johannestag (24. Juni) fällig, der Gänsezehnt an Mariä Himmelfahrt (15. August), am Bartholomäustag (24. August) allerlei Zins und Pflege einschließlich Eiern.

Termine anhand der jeweiligen Heiligentage für die Abgabe des Fleisch-, Gänse- und Eierzehnts.
Aus der Heidelberger Handschrift des Sachsenspiegels. Jh;
Ruprecht Karls Universität Heidelberg, Cod. Pal. germ. 164, Ostmitteldeutschland, Anfang 14. Jh.

Ein Grundbesitzer darf seine Hunde auf fremde Gänse hetzen, die in sein Grundstück eingebrochen sind.
Aus der Wolfenbütteler Handschrift des Sachsenspiegels;
Herzog August BibliothekWolfenbüttel, Ms. Aug. 3.1., fol.4, 3. Viertel 14. Jahrhundert.

Handel und Verkauf

Vor allem aus dem 14. und 15. Jahrhundert sind Abbildungen von Geflügelhändlern überliefert. Da man frisches Fleisch nicht lange lagern konnte, war es bei Geflügel und anderem Kleinvieh am einfachsten, die Tiere lebend zu verkaufen. Zum Markt wurden größere Gänseherden zum Beispiel einfach getrieben. Hühner und Tauben wurden anscheinend meist in Käfigen transportiert und feilgeboten. Das Schlachten, Ausnehmen und Vorbereiten von Geflügel oder Kaninchen gehörte noch lange nach dem Ende des Mittelalters zu den normalen Aufgaben in der Küche. Eier werden auf zeitgenössischen Abbildungen meist in geflochtenen Körben gesammelt, transportiert und angeboten.

Eine Geflügelhändlerin verkauft junge Tauben und Hühner. Daneben werden Eier angeboten.
Gesundheitsbuch des 14. Jahrhunderts (Tacuinum sanitatis); Wien Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob. S. n. 2644, Oberitalien um 1390, folio 67r.

Im Hintergrund ist ein kleinbäuerlicher Hühnerhof zu erkennen, im Vordergrund trägt die Bäuerin das Geflügel i
m runden Lattenverschlag oder Flechtgehege sowie Eier im Korb zum Markt.
Belgisches Brevier. Pierpoint Morgan Library, MS M.52 fol. 578v, Brüssel, Belgien, ca. 1500-1510

Taubenhändler in einer biblischen Illustration (Christus vertreibt die Händler aus dem Tempel).
Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Codex 2752 fol. 23v, um 1500-1525

 

Jagd und Fallenstellerei

Leimstängler, Vogelhans und Finkenherd

Um Massen von Wildvögeln zur Bereicherung der Tafel zu fangen, wurden alle erdenklichen Arten von Fallen, Netzen und Jagdutensilien eingesetzt: Netze, Fallnetze, Reusenkörbe, Bogenfallen, Kastenfallen, Steinschlagfallen, Leimruten und Leimrutenbäumchen (der Leim wurde u.a. aus Mistelbeeren gewonnen) etc. sowie Lockpfeifen und Glöckchen. Dies ging so weit, dass im Spätmittelalter regelrechte Schonzeiten für bestimmte Arten (z. B. Reiher, Wachteln, Lerchen und Störche) festgelegt wurden sowie die Jagd auf regional bedrohte Arten wie zum Beispiel Spatzen teilweise verboten oder stark eingeschränkt wurde.

Hochmittelalterliche Abbildung eines Schwans.
Aberdeen Bestiarium. University of Aberdeen, Ms 24, fol. 59r, 12. und 13. Jahrhundert

Eine Gruppe von Kranichen.
Aberdeen Bestiarium. University of Aberdeen, Ms 24, fol. 59r, 12. und 13. Jahrhundert

Hier wird die Fallenstellerei zum Erlegen von Tauben dargestellt. Laut Originaltext handelt es sich um Turteltauben, nach Größe und typischer Zeichnung der dargestellten Tiere könnte es sich aber auch um wilde Ringeltauben handeln.
Tacuinum sanitatis, 14. Jh.; Wien Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob. S. n. 2644, Oberitalien um 1390, folio 69r.

Links: Vogelfang mit reusenartigen Fangkörben, rechts: Taubenschlag.
Lilienfeld, Österreich, Stiftsbibliothek: Codex 151, fol. 221v, um 1350

Wildvogelfang mit Klappnetzen, die Beute wird mit ausgelegtem Futter angelockt. Tacuinum sanitatis

 

Die höfische Jagd

Auch die höheren Stände gingen gerne auf Vogeljagd: entweder mit Pfeil und Bogen oder mit einer speziellen Armbrust mit Tonkugeln als Geschossen (Balester, Kugelarmbrust). Die Vögel wurden mit Jagdhunden aufgestöbert oder durch Lockvögel an speziellen Jagdplätzen angelockt. Der sprichwörtliche ‚Vogelherd’ war ein groß angelegter und befestigter Fangplatz für Kleinvögel, die sogenannte ‚Vogelweide’ dagegen ein Fangplatz für Raubvögel, die als abgerichtete Beizvögel wiederum gerne für die Vogeljagd eingesetzt wurden. Fallenstellerei und Bejagung der Vögel nehmen einen großen Platz in der entsprechenden mittelalterlichen Jagdliteratur ein.

Jagd auf Großvögel mit der Armbrust. Tacuinum sanitatis, Text 11. Jh., illustrierte Formen v.a. 14. Jh.

 



Dieser Artikel erschien bereits in gekürzter Form in:
Hirschberg, R. M. (2010) Haustiere im Mittelalter: Geflügel und seine Haltung.
Karfunkel - Küche im Mittelalter 3: 26-29 (ISSN 0944-2677)

Die Bilder des Codex 151, Concordantiae caritatis, Lilienfeld sind alle entnommen von der Seite des Instituts für mittelalterliche Realienkunde (Imareal): http://tethys.imareal.oeaw.ac.at/realonline/

Quellen und weiterführende Literatur:

Richard Barber. Bestiary. Boydell Press, Woodbridge, 1999

Norbert Benecke. Der Mensch und seine Haustiere – Die Geschichte einer jahrtausendealten Beziehung. Theiss, Stuttgart, 1994

Mamoun Fansa und Carsten Ritzau (Hrsg.). Von der Kunst mit Vögeln zu jagen. Das Falkenbuch Friedrichs II. - Kulturgeschichte und Ornithologie. Philipp von Zabern, Mainz, 2008. Schriftenreihe des Landesmuseums für Natur und Mensch, Heft 56.

Siegfried Epperlein. Bäuerliches Leben im Mittelalter – Schriftquellen und Bildzeugnisse. Böhlau, Kölln, 2003

Das Falkenbuch Friedrich II - Bibliotheca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. Lat. 1071. Glanzlichter der Buchkunst, Bd. 9. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz, 2000

K. Kris Hirst. History of chickens (Gallus domesticus). About.com: Achaeology, Internet-Publikation: http://archaeology.about.com/od/domestications/qt/chicken.htm (31.08.2010.)

Jagdbuch des Mittelalters. Gaston Phoebus – Livre de la Chasse. Glanzlichter der Buchkunst, Bd. 4. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz, 2000

Lexikon des Mittelalters. Deutscher Taschenbuch Verlag, 2002

Frank Meier. Mensch und Tier im Mittelalter. Thorbecke Verlag, Ostfildern, 2008

Joyce E. Salisbury. The beast within – animals in the middle ages. Routledge, London, 1994

Peter C. A. Schels. Mittelalterlexikon. Internetpublikation: http://u0028844496.user.hosting-agency.de/malexwiki/index.php/Hauptseite (31.08.2010)

Philip Slavin. Chicken Husbandry in Late-Medieval Eastern England: c. 1250-1400. Anthropozoologica, Vol. 44:2, 2009

The Aberdeen bestiary project. University of Aberdeen. Internetpublikation: http://www.abdn.ac.uk/bestiary/ (26.05.2010)

The medieval bestiary – Animals in the middle ages. David Badke, 2010. Internetpublikation: http://bestiary.ca/index.html (26.05.2010)

Hans Hinrich Sambraus. Atlas der Nutztierrassen. 3. Aufl. Verlag Eugen Ulmer, 1989

Tacuinum sanitatis in medicina. Glanzlichter der Buchkunst, Bd. 13. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz, 2004

 

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