Spurensuche im Boden

Was die Archäologie über die Küche verrät

 

Text: Ruth M. Hirschberg
Ausstellungsfotos: Joachim Meinicke
Berlin, 2011,
aktualisiert: Januar 2012

 

Die Suche nach Spuren und Quellen zur Küche und Kochkultur vergangener Zeiten ist vielfältig und muss oft auch an eher „unappetitlichen“ Orten erfolgen. Beste Erhaltungszustände für organische Materialien finden sich nämlich dann, wenn diese entweder im Herdfeuer oder bei einer Brandkatastrophe verkohlt oder aber nach ihrer Ablagerung schnell in wassergesättigte Sedimente eingebettet wurden. Solche Gegebenheiten finden sich häufig in Brunnen sowie in Fäkal- oder Abfallgruben, so dass in diesen „Endlagerstätten“ sowohl Reste von Lebensmitteln als auch von Küchen- und Tischgerätschaften bewahrt wurden. Die Notwendigkeit der Entsorgung von Hausmüll, Straßenkehricht, Bauschutt, Tierkadavern, Mist, Fäkalien und Abwässern vor allem in den dicht besiedelten Städten (wo dies auch über Vorschriften reglementiert wurde) ermöglicht der Archäologie heute die reichsten Einsichten in das mittelalterliche Alltagsleben, während Grabbeigaben diesbezüglich im christlichen Mittelalter eine nur sehr untergeordnete Rolle spielen.
Die entsprechenden archäologischen Funde ergänzen und bestätigen die Angaben, die aus erhaltenen Bild- und Textquellen abzuleiten sind und runden damit unsere Vorstellung über die Küchenkultur der jeweiligen Zeitstellung ab.

Verschiedene archäologische Funde,
für die Erläuterung eines typischen Fundzusammenhangs in einem mittelalterlichen Brunnenschacht ‚arrangiert’:
zerbrochene Holzgegenstände, Schuh- und sonstige Lederreste sowie Keramikscherben verschiedenster Qualität.
(Eberwalder Ausgrabungsgeschichten)

Eine mittelalterliche Daubenschale, im Originalfundzusammenhang mit fast vollständiger Bindung konserviert.
(BLDAM)

Ein 'typisches' Puzzelspiel - Keramikfragmente aus einer mittelalterlichen Ausgrabungsstätte.

 


Küchen- und Tischgerätschaften

Bezogen auf die Ausstattung der mittelalterlichen Küchen und Tafeln liefert die Archäologie die wichtigsten Fakten – insbesondere über die entsprechenden Verhältnisse bei den niedrigeren Ständen, für die zeitgenössische Bild- und/oder Schriftquellen oft spärlich bis nicht-existent sind. Neben der Typologie von ergrabenen Gefäßen und Gerätschaften bieten archäologische Auswertungen auch Erkenntnisse über deren Verbreitung (Anzahl des jeweils gefundenen Typs innerhalb der Fundkomplexe) sowie häufig auch eine Zuordnung zu bestimmten Benutzergruppen.

Arm und reich
So werden in Fundstellen im Bereich von Adelssitzen (Pfalzen, Burgen, Gutshöfe etc.) oder von reichen Bürgerhäusern oft andere Gerätschaften geborgen als beispielsweise in angrenzenden Handwerker- oder gar bäuerlichen Siedlungen. Die Unterschiede betreffen dabei meist das Material, aus dem die Küchen- bzw. Tischgerätschaften gefertigt wurden, sowie deren Verzierungsgrad und Formenreichtum. In den erhaltenen Abfällen von Höfen, Burgen oder Bürgershäusern finden sich viel häufiger hochwertige und verzierte Keramikgefäße – oft aus den im Mittelalter bekannten und beliebten rheinländischen Produktionsstätten wie Siegburg oder Pingsdorf – während in den Abfällen, die ärmlicheren Lebensumständen zugeordnet werden können, meist lokal produzierte einfache Gebrauchskeramik – in Norddeutschland zum Beispiel die so genannte graue Irdenware – überwiegt.

Alltagskultur: Daubenschale und verschiedene mittelalterliche Löffelfunde.
(Archäologie unter dem Straßenpflaster)

 

Küchenkeramik der einfacheren Haushalte:
typische Kugeltöpfe aus grauer Irdenware, ein ‚Leitfund’ für das 13. und frühe 14. Jahrhundert. Links ein helltoniges Exemplar.
(Zwischenlandung im Mittelalter)

Ein selten gezeigter Fund: kleine Schalen aus grauer Irdenware.
(Zwischenlandung im Mittelalter)

 

Figürlich oder mit Glasuren verzierte Keramikgefäße finden sich ebenso häufiger in höherständischen Einzugsbereichen. Bestimmte Gefäßtypen, die zur höfischen Kultur gehören und als Repräsentationsobjekte gebraucht wurden, wie zum Beispiel die Aquamanilen (verzierte Gefäße für die rituelle Handwaschung), sind entsprechend nur aus Grabungen von Herrschaftssitzen bekannt. Die Archäologie kann auch nachweisen, dass im Mittelalter eine Art ‚Produktpiraterie’ ebenfalls schon verbreitet war: Im Großraum Berlin/Potsdam sind beispielsweise neben ‚echten’ Siegburger Faststeinzeugen auch typologisch sehr ähnliche Gefäße gefunden wurden, die im sächsischen Waldenburg gefertigt wurden und vermutlich deutlich billiger zu erstehen waren.

Höherwertiges Faststeinzeug in verschiedenen Gebrauchsformen.
(Archäologie unter dem Straßenpflaster)

Spezialgefäße aus Keramik: Kanne aus grauer Irdenware mit Siebtülle (oben) und glasierte Fettpfanne (unten).
(Archäologie unter dem Straßenpflaster)

 

Von links nach rechts:
Vierpassbecher, Schank- oder Vorratsgefäß und Kanne aus so genannter grauer Irdenware als Beispiele für Keramik aus lokaler Produktion
(Zwischenlandung im Mittelalter)

 

Überregionalität
Wie auch noch bei den verwendeten Lebensmittel zu sehen sein wird (s.u.), kann ein Zusammenhang zwischen dem ‚Niveau’ der Alltagsgegenstände und der Nähe zu wichtigen Handelsverbindungen abgeleitet werden. Das im Rahmen des Berliner Großflughafenprojektes BBI ergrabene mittelalterliche Dorf Diepensee zeigte zum Beispiel eine für seine Größe vergleichsweise reiche Sachkultur, was damit in Zusammenhang gebracht wird, dass es nahe an wichtigen überregionalen Handelsverbindungen lag. In den norddeutschen Hansestädten als wichtige Umschlagplätze für Waren jeglicher Art aus dem Hanse-Handelsraum finden sich vergleichsweise öfter Importwaren wie beispielsweise reich verzierte Gläser (oft aus Italien importiert)oder hochwertige Buntmetallgerätschaften (aufwändig verzierte Schüssel wie die deshalb so genannten Hanseschüsseln, Grapen oder Aquamanilen etc.). Hier finden sich im Gegensatz zum restlichen deutschen Raum auch bis in das 13. Jahrhundert hinein noch Küchen- und Kochgefäße aus Speckstein, die wahrscheinlich aus Norwegen importiert wurden, wo dieses traditionelle Material neben der billigeren und haltbareren Keramik weiterhin bearbeitet wurde.

Luxusgut einer höherständischen Tafel:
aufwändig verziertes Glas, aus spezialisierten Glaswerkstätten in Italien importiert
(Archäologie unter dem Straßenpflaster)

 

 

Buntmetall-Fragmente: ein ‚Puzzlespiel’ im Quellenvergleich
Bezüglich der genannten Küchen- und Tischgerätschaften aus Buntmetall liefert die Archäologie allerdings häufig nur Fragmente, zum Beispiel abgebrochene Standfüße und Henkel von Grapen, oder ausgebrochene (oft erkennbar mehrfach reparierte) Bodenfragmente von Grapen und Schalen, da diese Produktgruppe eher eingeschmolzen und wiederverwendet als über den Abfall entsorgt wurde.

Seltene Funde von Tafel- und Küchengerätschaften aus Buntmetall:
Schale (links) und Fuß eines Bronzegrapens (rechts); daneben ein Krug aus Faststeinzeug (oben links).
(Zwischenlandung im Mittelalter)

Ein eher seltener Fund: komplett erhaltener Bronzegrapen.
(BLDAM)

Ähnliches gilt für große Kochkessel. Hier müssen die ergrabenen Fragmente zum Beispiel mit den zeitgenössischen Abbildungen von Küchenszenen bzw. mit Anweisungen aus erhaltenen Kochbüchern verglichen werden, um ein vollständiges Bild zu erhalten. Die aus diesen Quellen erkenn- bzw. ableitbaren Hilfsgerätschaften für die (hochherrschaftlichen) Küche wie Kochgalgen, gezähnte Kesselhaken, Halterungen für Bratspieße, Grillroste oder untergestellte Fettpfannen etc., sind wiederum im archäologischen Fundspektrum vor allem der reichen Handelsstädte häufiger nachweisbar.

Kupferkessel in sehr seltener guter Erhaltung.
(Mittelalterausstellung, Schloss Gottorf, Schleswig)

Küchenutensilien aus der herrschaftlichen Küche:
verschiedene Topf- bzw. Kesselhaken und Bratenhalterungen (rechts)
sowie eine glasierte Fettpfanne zur Aufnahme des austretenden Bratensaftes (links)
(Archäologie unter dem Straßenpflaster)

 

Feuerstellen
Auch bezüglich der Feuerstellentypen liefert die Archäologie die grundlegenden Daten für Vergleichsmöglichkeiten zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. In einfachen Behausungen (mit meist nur einem Raum) stellt die ebenerdige Feuerstelle in der Regel Kochgelegenheit, Wärme- und Lichtquelle in einem dar. Diese Feuerstelle kann im einfachsten Fall aus einer festgetretenen Lehmschicht bestehen, öfter ist sie durch Feldsteine oder aber auch schon durch Backsteine unterlegt und begrenzt. Auf diesen unebenen Feuerstellen kamen sicherlich bevorzugt einfache Rundbodentopfe (so genannte Kugel- oder Bombentöpfe) zum Einsatz, die sich in hoher Zahl im archäologischen Fundgut aus nahezu allen Bereichen finden. Der Übergang zur höherständischen Küche zeigt sich an erhabenen und zumindest in Norddeutschland oft mit Bachsteinen befestigten und begrenzten Feuerstellen. Die Grundrisse waren meist rechteckig und seltener quadratisch. Auf solchen geebneten Feuerstellen konnten Dreibeinkochgefäße wie Grapen oder Standbodengefäße gut eingesetzt werden. In Kombination mit den erwähnten Kesselhaken, Rosten und Spießhalterungen werden sie zu spezialisierten Kochstellen der herrschaftlichen Küchen. Als Wärmequellen dienen in diesen Haushalten spätestens ab dem ausgehenden 13. Jahrhundert dann schon die Kachelöfen und Lichtquellen in vielfältiger Form (Kienspanhalter, Talglichte, Kerzenleuchter) übernehmen die Beleuchtung der verschiedenen Räumlichkeiten. Über Gefahren im Umgang mit diesen offenen Feuerstellen liefern die archäologischen Funde ebenfalls indirekte Hinweise: neben notwendigen Utensilien wie Blasebälgen oder Glutkratzern sind auch ‚Sicherheitselemente’ wie irdene glockenartige Gluthauben, die einfach auf die Feuerstelle gestülpt wurden, oder halbrunde Gluthauben aus Metall (seltener erhalten, siehe oben) bekannt, die wohl eher bei wandständigen Herden und Kaminen zum Einsatz kamen.

Seltener Fund eines hölzernen, einfach zugehauenen Kerzenleuchters.
(Eberwalder Ausgrabungsgeschichten)

 

Stark unterrepräsentiert: Alltagsgegenstände aus Holz
Obwohl im Mittelalter die Sachkultur vom einfachsten bis zum hochherrschaftlichen Haushalt durch eine Vielzahl von Holzgegenständen geprägt war, sind vergleichsweise wenige davon erhalten und diese auch noch in entsprechenden Museumsausstellungen oft unterrepräsentiert, da hier meist spektakulärere Funde bevorzugt gezeigt werden. Ein ganz profaner Grund, warum nur relativ wenige Holzgegenstände erhalten sind, liegt vermutlich darin begründet, dass diese am Ende ihrer Gebrauchsfähigkeit eine ‚Endnutzung’ im Herd- oder Kaminfeuer gefunden haben. Über den Abfall entsorgte Holzteile benötigen wie oben bereits erläutert besondere Bodenvoraussetzungen, damit sie über die Jahrhunderte erhalten bleiben. Hieraus ergibt sich aber durchaus auch eine ‚Schnittmenge’, da angekohlte Holzteile sich viel besser im Boden erhalten. Gerade die Alltagsgegenstände aus Holz verraten vermutlich am meisten über die Lebensumstände in einfacheren Haushalten, da der Werkstoff Holz regional verfügbar und in der Regel auch mit einfachen Mitteln bearbeitbar war. So verwundert es nicht, dass nahezu aus allen Küchen- und Tafelbereichen hölzerne Gerätschaften vertreten sind. Geradezu als ‚Leitfunde’ könnte man hier die verschiedenen geböttcherten Gefäße ansehen, insbesondere kleinere Daubenschalen sind als Fragmente oder aber auch komplett erhalten massenhaft in Brunnen und Abfallgruben geborgen worden. Daneben finden sich einfache behauene Schalen verschiedener Größe (so genannte Mollen) und auf der Drechselbank bearbeitete Holzschalen- und -Teller in verschiedenen Größen und Verzierungsgraden. Auch hier lassen Formenvielfalt und Verzierungsgrad wieder Rückschlüsse auf den Stand der Benutzer zu. In höherständischen Haushalt finden sich zusätzlich verzierte (Servier-)Schalen und Bretter, kunstvoll ausgedrehte Becher und Pokale sowie Aufbewahrungsdosen mit passenden Deckeln. Küchenutensilien wie Quirle, Teigrollen, Schaber oder Spatel aus Holz sind im Fundgut vergleichsweise selten zu finden, ebenso die vermutlich überall genutzten Holzlöffel in verschiedenen Größen und Verwendungsmöglichkeiten. Hier kommt hinzu, dass sich das Formenspektrum dieser Gerätschaften über die Jahrhunderte oft nur sehr wenig verändert hat und die Datierung solcher Funde entsprechend ungenau bleiben muss.

Weitverbreitete Tafel- und Küchenutensilien aus Holz:
Daubenschalen (oben), die vermutlich in jedem Haushalt genutzt wurden, und verschiedene gedrechselt und behauene Schalen (unten).
(Archäologie unter dem Straßenpflaster)

 

Große gedrechselte Holzschale aus einem archäologischen Archiv.
(BLDAM)


Lebensmittel

Aussagen zu im Mittelalter verwendeten Lebensmitteln verlangen eine besonders enge Verknüpfung verschiedenster Disziplinen. Archäologische Funde können aus den oben genannten Gründen nicht umfassend und auch nicht für alle Gegebenheiten repräsentativ sein. Daher ist hier ein Vergleich mit den zeitgenössischen Schrift- und Bildquellen besonders gefordert. Umgekehrt erlauben archäologische Untersuchungen eine Bestätigung bzw. ggf. auch eine Hinterfragung der anderen Quellenformen. Bei tradierten Texten wie beispielsweise den im Mittelalter sehr beliebten Gesundheitsbüchern werden teilweise Pflanzen genannt, die in der Antike entweder über die damaligen Handelswege verfügbar waren oder im Mittelmeerraum regional angebaut wurden. Dies muss aber nicht zwangsläufig mit den jeweiligen Gegebenheiten im europäischen Mittelalter übereinstimmen und kann durch systematische Auswertung des archäologischen Fundspektrums überprüft werden.

Archäobotanik
Die moderne Archäobotanik ermöglicht eine Analyse von verkohlten oder unverkohlten Samen, Früchten, Fruchtsteinen, Nussschalen und anderen Pflanzeresten wie Moosen, Knospenschuppen oder Holzfasern und gewährt damit teils sehr detaillierte Einsichten in Erntemethoden, in Schritte der Getreidereinigung und –Weiterverarbeitung, in die Speisezubereitung und damit generell in die regionale (Nutz-)Pflanzenwelt und die Ernährungsgewohnheiten des Mittelalters (siehe Übersichtstabelle 1). Die oft nur sehr kleinen Pflanzenreste müssen dabei über aufwändige Verfahren aus dem Fundmaterial isoliert, aufbereitet und bestimmt werden. Hierbei ist besonders zu beachten, dass in den Abfallgruben und Kloaken zum Beispiel exotischere Zutaten und Gewürze wie Reiskörner, Pfeffer, Ingwer, Kardamom, Nelken, Paradieskörner oder Safran in der Regel in zubereiteter, also durch verschiedene Verfahren zerkleinerte und/oder in zerbissener Form vorkommen und daher noch schwerer zu erfassen sind. Gelingt allerdings der Nachweis solcher ‚Luxusgüter’, stützen diese Funde die erhaltenen zeitgenössischen Zoll- und Handelslisten und daraus abgeleiteten Kenntnisse über mittelalterliche Handelswege. Wie bereits bezüglich der Sachkultur erläutert, können auch aus den botanischen Funden und deren Verteilung Erkenntnisse über sozialen Status (beispielsweise überwiegend genutzter Getreidetyp: Rogen oder Dinkel in bäuerlichen, Weizen in hochherrschaftlichen Haushalten etc.) sowie Nähe zu den überregionalen Umschlagsplätzen (exotische, importierte Zutaten, siehe oben) abgeleitet werden. Bei manchen botanischen Funden ist allerdings unklar, ob sie aus lokaler Produktion stammen oder über Handelswege importiert wurden – so zum Beispiel bei geborgenen Trauben-, Pfirsich oder Feigenkernen. Alle drei Früchte könnten in geschützteren Gegenden tatsächlich lokal angebaut worden sein – oder aber in Form von Trockenfrüchten importiert.

 

Übersichtstabelle 1

Kategorie
Arten
Kommentar
Getreide
Dinkel, Einkorn, Emmer, Gerste, Hafer, Kolbenhirse, Reis*, Rispenhirse, Roggen, Weizen
Regionale Unterschiede: In Norddeutschland wurde überwiegend Roggen, in Süddeutschland viel Dinkel angebaut; Weizen wurde eher in höherständischen Haushalten verwendet.
*Reis war teure Importware u. a. aus Italien und wurde erst im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit häufiger verwendet.
Gemüse
Ackerbohne, Erbse, Fenchel, Gurke, Kresse, Lein*, (evtl. auch Leindotter*), Linse, Mangold, Melde, Möhre, Pastinake, Portulak, Rübe, Runkelrübe, Schlafmohn*, Sellerie
*in der Küche vermutlich als Ölpflanzen eingesetzt
Kräuter und Gewürze
Bohnenkraut, Beifuß, Brunnenkresse, Dill, Fenchel, Ingwer*, Kardamom*, Kerbel, Koriander, Kümmel, Majoran, Paradieskörner*, Petersilie, Pfeffer*, Raute, Rettich, Safran*, Schildampfer, Senf (schwarz und weiß), Spinat, Wacholder, Ysop
*sehr teure Importware, Verwendung in der Küche höherstehender Bevölkerungsschichten
Obst
Apfel, Aprikose*, Birne, Brombeere, Erdbeere, Feige*, Granatapfel*, Hagebutte, Heidelbeere, Himbeere, Holunder (rot und schwarz), Johannis-/Stachelbeere, Kornelkirsche, Kratzbeere, Krieche, Maulbeere*, Mispel, Pfirsich*, Pflaume, Quitte, Sauerkirsche, Schlehe, Süßkirsche, Vogelbeere, Wein*
* teils regionaler Anbau in geschützten Gegenden möglich, teils Handelsware vermutlich als Trockenfrucht
Trockenfrüchte wie Hutzelbirnen, Dörrpflaumen etc. hatten wohl auch Bedeutung als Süßungsmittel
Nüsse und Ähnliches
Eichel, Esskastanie, Haselnuss, Mandel, Walnuss

Orientierungsübersicht in Deutschland nachgewiesener Nutzpflanzen (teils kultiviert, teils wild gesammelt)
für den Gebrauch in der mittelalterlichen Küche des 13. bis 14. Jahrhunderts. Insgesamt gibt es deutliche regionale Unterschiede.
(modifiziert nach Angaben in: "Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch" sowie "Archäologie unter dem Straßenpflaster", siehe unten)

 


Archäozoologie
Die Archäozoologie erfasst und bewertet Überreste von Tieren sowie Tierprodukten im archäologischen Fundgut. Über Parameter wie Geschlechts- und Altersverteilungsmuster oder Häufigkeit bestimmter Spezies im Fundgut können dabei durchaus auch Aussagen zu Haltungs- und Zuchtbedingungen sowie Nutzung der jeweiligen Tierart getroffen werden. So genannte osteometrische Studien (genaues Erfassen und Vermessen von Knochenelementen) helfen, die jeweiligen Wildtier- von den Haustierformen zu unterscheiden, wenn sie in der gleichen Zeitstellung parallel vorkamen (im europäischen Mittelalter etwa Auerochse und Hausrind, oder Wild- und Hausschwein), da sich zum Beispiel Widerristhöhe, Schädellänge oder Zahnstellung im Laufe der Domestikation veränderten.
Im Fundgut von Adelssitzen kommen meist überproportional viele Skelette von Geflügel und von Wildtieren vor. Dies zeigt, dass – entsprechend der erhaltenen Rechtsvorschriften - Geflügel sehr häufig als Zins oder Grundabgabe an die Grundherren geliefert wurden, und dass der jeweilige Grundherr in der Regel alleinig die Jagdrechte besaß. Generell sind Tierkörperreste aus Grabungen höherständischer Bereiche deutlich häufiger als zum Beispiel aus bäuerlichen Siedlungen. Fleischgerichte, insbesondere von Geflügel und Wild, waren wichtige Repräsentationsmerkmale der herrschaftlichen Tafel.
Eine besondere Häufung weiblicher (durchaus auch älterer) Tiere im Fundgut lässt auf gezielte Zucht und gegebenenfalls Milchproduktion (Rind, Schaf, Ziege) schließen, während viele Skelette von jungen männlichen Tieren im Fundgut für die Schlachtung ‚überzähliger’ Tiere und damit für gezielte Fleischproduktion sprechen. Eine Schlachtung für die Fleischproduktion wird generell durch ganz bestimmte Zerlegespuren an den Tierkörperresten belegt – so zum Beispiel das Aufbrechen von Röhrenknochen für die Markgewinnung etc. Obwohl im Mittelalter mehr oder weniger der gesamte Tierkörper genutzt wurde, fällt im Fundgut aus dem städtischen Bereich wie auch von Adelssitzen oder Klöstern teilweise auf, dass bei Tierkörperresten von Großtieren (Rinder, Schweine) Skelettelemente von manchen Körperregionen (zum Beispiel der unteren fleischarmen Gliedmaßenenden oder des Kopfes) generell fehlen oder bezogen auf die ermittelte Gesamtindividuenzahl unterrepräsentiert sind. Dies wird so interpretiert, dass entweder bereits zugerichtete Schlachtkörper oder aber nur bestimmte, wertvollere und bevorzugte Fleischteile wie Blume oder Oberschale in diesen Haushalten genutzt bzw. gehandelt wurden.
Unter günstigen Erhaltungsbedingungen kann die Archäozoologie auch Auskunft darüber geben, ob und in welchem Ausmaß nach heutigen Gesichtspunkten eher ungewöhnliche Tiere verzehrt wurden - so eine Vielzahl von Wildvögeln wie Reiher, Wachteln, Lerchen und Störche oder gar Spatzen - bis hin zum Nachweis von Weinbergschnecken.

Regionalität und beliebte Handelsgüter: die Paläoökonomie
Die gemeinsamen Erkenntnisse aus der Archäobotanik und der Archäaozoologie beschreiben sowohl die regionale Fauna und Flora als auch deren Nutzung in Ernährung und Wirtschaftsleben des Mittelalters. Dies kann mit dem Begriff der Paläoökonomie zusammengefasst werden.
So sprechen zum Beispiel zahlreiche Funde von Austernschalen in küstenfernen Regionen aus dem ausgehenden Mittelalter und dann verstärkt in der frühen Neuzeit dafür, dass der Verzehr dieser Muscheln in höherstehenden Kreisen sehr beliebt war. Der Versand der lebenden Austern erfolgte in Salzwasser-gefüllten Fässern bis weit in das Binnenland, sogar bis nach Mittel- und Süddeutschland. In das Mittelalter datierte Schalenreste von Europäischen Hummern aus dem Stralsunder Rathaus lassen auf eine Lebendeinfuhr aus Nordseeregionen schließen. Neben diesen Luxusgütern wurden aber auch durch Trocknung oder Einsalzen haltbar gemachte Seefische als ‚Arme-Leute-Essen’ weit ins Binnenland transportiert, was die zooarchäologische Fundanalyse beweisen kann und damit den vielfach erhaltenen Handelslisten entspricht.
Zentren besonderer landwirtschaftlicher Produktion oder Zuchtzentren können ebenfalls anhand der paläoökonomischen Analysen identifiziert werden. So finden sich zum Beispiel im Grabungsgut von Zisterzienserklöstern – denen laut Schriftquellen eine entsprechende landwirtschaftliche Vorreiterrolle zugesprochen wird – besonders vielfältige Obst- und Feldfruchtüberreste (planmäßig angelegte Felder und Gärten), überproportional viele Süßwasserfischknochen (gezielte Errichtung von Fischteichen) sowie entsprechende Nutztierüberreste, die für eine starke züchterische Bearbeitung mit Entstehung von ersten nutzungsbetonen Landrassen (Schafe, Ziegen, Geflügel, Rinder, Schweine) sprechen.

 

Mittelalterliche archäobotanische Funde aus einem Zisterzienserkloster:
2 = Schlafmohnsamen (Papaver somniferum), 3 = Weintraubenkerne (Vitis vinifera), 4 = Pfirsichkerne (Prunus persica), 5 = Süßkirschenkerne (Prunus avium), 6 = Pflaumenkerne (Prunus domestica), 7 = Sauerkirschkerne (Prunus cerasus), 8 = Walnussschalen (Juglans regia), 9 = Kornelkirschkerne (Cornus mas)
Zum Fundspektrum gehörten hier auch noch Kerne von Feigen, die entweder lokal produziert oder aber als Trockenfrucht importiert worden sein können.
(Archäologie unter dem Straßenpflaster)

Insgesamt bietet die Archäologie also eine Fülle an interessanten Fakten für die mittelalterliche Ernährung und die Küchenausstattung. Neben den erhaltenen Kochbüchern liefert sie damit die Grundlage für den Versuch, mittelalterliche Speisen in der eigenen Küche heute nachzukochen.

 

Die hier verwendeten Fotos stammen aus öffentlichen Ausstellungen zur mittelalterlichen Sachkultur (Landesausstellung "Archäologie unter dem Straßenpflaster - 15 Jahre Stadtkernarchäologie in Mecklenburg-Vorpommern", St. Georgen-Kirche, Wismar, 2005; Ausstellung "Eberswalder Ausgrabungsgeschichten", Museum in der Adler-Apotheke, Eberswalde, 2005; Ausstellung "Zwischenlandung im Mittlelater", Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und archäologisches Landesmuseum, Berlin, 2006) sowie aus archäologischen Archiven (BLDAM). Das Urheberrecht liegt bei Joachim Meinicke, Marca brandenburgensis AD1260, Berlin.
Für die freundliche Unterstützung bei unseren Recherchen bedanken wir uns herzlich bei den Mitarbeitern des BLDAM, insbesondere bei Dr. Christoph Krauskopf

 

Dieser Artikel erschien bereits in gekürzter Form in:
Hirschberg, R. M. (2011):
Spurensuche im Boden - Was die Archäologie über die Küche verrät.
Karfunkel – Küche im Mittelalter 4-2011:34-38

 


Exemplarische Quellen und weiterführende Literatur:

Die Keramik vom 13. bis zum Anfang des 16 Jahrhunderts in Berlin/Brandenburg. Aus der Sammlung des Märkischen Museums. E. Kirsch. Märkisches Museum, Berlin, 1994

Essen und Trinken. In: Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch – die Stadt um 1300. Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und die Stadt Zürich. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart,1992. pp 289-345

Zwischenlandung im Mittelalter. Archäologie für den Hauptstadtflughafen BBI. Die Ausgrabungen in Diepensee. Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Redaktion: Sabine Eichoff. Wünsdorf, 2006

Mit Gugel, Pritschholz und Trippe – Alltag im mittelalterlichen Lübeck. Doris Mührenberg und Alfred Falk. Archäologische Gesellschaft der Hansestadt Lübeck, Jahreschrift 2/3, 1997/1999

Archäologie unter dem Straßenpflaster. 15 Jahre Stadtkernarchäologie in Mecklenburg Vorpommern. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns, Band 39. Hrsg. Hauke Jöns, Friedrich Lüth und Heiko Schäfer. Schwerin, 2005
hierbei insbesondere: Tierhaltung und Jagd im Mittelalter in Mecklenburg-Vorpommern. Ulrich Schmölcke und Dirk Heinrich, S. 41-46; Verzehrt, verloren, verkohlt - Pflanzenreste als Quellen zur Ernährungs- und Umweltgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Julian Wietholt, S. 47-50; Archäozoologische Untersuchungen an wirbellosen Tieren. Jörg Ansorge und Peter Frenzel, S. 51-54; Reis, Pfeffer und Paradieskorn - Pflanzenreste als Quellen zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handelsgeschichte. Julian Wietholt, S. 119-122; Handel mit Schlachtvieh, Fischen und Fellen. Norbert Benecke, S. 123-124; Grapen, Glocken, Kupferkessel - Bunt- und Edelmetallhandwerk im Spiegel archäologischer Funde. Torsten Rütz, S. 295-300; Von Feuerstellen, Herdgeräten und der Gefahr "tierischer Brandstiftung". Heiko Schäfer, S. 315-328; Zeugen einer leicht vergänglichen Welt - Holzgefäße und Möbelteile. Heiko Schäfer, S. 335-338; Metallgegegenstände aus ausgewählten Lebensbereichen städtischer Haushalte. Heiko Schäfer, 339-342; Licht in der Dunkelheit - Beleuchtungsgeräte vom 13. bis zum 18. Jahrhundert. Heiko Schäfer, S. 343-346

Eberswalder Ausgrabungs(Ge)schichten – Archäologie und Geschichte einer märkischen Stadt. Heimatkundliche Beiträge, Band 9. Hrsg: Stadt Eberswalde, Museum in der Adler-Apotheke. Eberswalde, 2005

Tric-Trac, Trense, Treichel – Untersuchungen zur Sachkultur des Adels im 13. und 14. Jahrhundert. Christoph Krauskopf. Veröffentlichungen der Deutschen Burgenvereinigung Reihe A: Forschungen, Band 11. Braubach, 2005

Der Mensch und seine Haustiere – Die Geschichte einer jahrtausendealten Beziehung. Norbert Benecke. Theiss Verlag, Stuttgart, 1994

 

 

 

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