Mit Haut und Haaren
Die vielfältige Nutzungsgeschichte der Wiederkäuer im Mittelalter
Ruth M. Hirschberg
Berlin, 2011; aktualisiert: Januar + September 2012; September
2013
Die kleinen Wiederkäuer, Schaf und Ziege, sind die ältesten Wirtschaftstiere des Menschen. Beide zeichnen sich durch Genügsamkeit und anspruchslose Haltungsbedingungen aus und fast der gesamte Tierkörper kann genutzt werden, während die weiblichen Tiere auch noch zusätzlich Milch liefern. Milch- und Fleischausbeute sind beim großen Wiederkäuer Rind reichlicher, allerdings stellt dieser auch größere Ansprüche an Haltung und Fütterung. Bis in die Neuzeit hinein wurde das Rind vor allem auch wegen seiner Arbeitskraft gehalten.
Im Mittelalter kann bereits zwischen gezielter Massentierhaltung, z.B. zur Fleisch- oder Wollproduktion, und der kleinbäuerischen Viehhaltung unterschieden werden. Allen gemeinsam ist die sehr effiziente ‚Ausnutzung’ der Leistungen der Tiere, einschließlich des Tierkörpers: neben Fleisch und Milch zur Ernährung und dem anfallenden Dung als Brennstoff bzw. als Dünger wurden ihre Häute für die Leder- und Pergamentherstellung, die Knochen, Hörner und Sehnen als Werkstoffe bzw. für die Leimsiederei genutzt, das Körperfett für die Talggewinnung, die Wolle für die Herstellung von Stoffen und die Haare für Seile, Polsterungen etc. In der heutigen Bedeutung der ebenfalls auf das Mittelalter zurückgehenden Redensart (damals jedoch im Bezug auf eine Ehrenstrafe verwendet) wurden sie also tatsächlich „mit Haut und Haaren“, nämlich nahezu vollständig, genutzt, und die mittelalterliche Agrargesellschaft ist ohne diese Nutztiere undenkbar.
Vom Wild- zum Haustier#
Schaf und Ziege
Schaf und Ziege wurden in den vorderasiatischen Bergländern des sogenannten ‚fruchtbaren Halbmond’ domestiziert. Sichere Hinweise auf ihre Haltung als Haustiere existieren vom Ende des 9. Jahrtausends v. Chr., neuere Untersuchungen datieren den Übergang vom genutzten Wildtier zur gezielten Haustierhaltung bereits früher in das Neolithikum, um 11.000 v. Chr. Das Hausschaf stammt von den weit verbreiteten Wildschafarten ab, als wahrscheinlichster ‚Uhrahn’ gilt hier das Mufflon. Die Hausziege stammt wohl überwiegend von der Bezoarziege (Säbelhornziege) ab, wobei gelegentliche Einkreuzungen von Schraubenhornziegen als wahrscheinlich gelten. Beide, Schaf und Ziege, wurden wohl primär wegen des Fleischs bejagt und dann vom extensiv gehaltenen Wildtier zum Haustier überführt. Vor allem das Schaf, welches ja ursprünglich der Wildform ähnelnd als Haarschaf vorkam, erfuhr eine umfassende züchterische Bearbeitung (siehe: Schafrassen und Wollproduktion). Die ersten Hinweise auf Wollschafe stammen aus der Zeit um 6.000 v. Chr. .
Rinder
Bei den Rindern sind neben den Haustierformen auch die Wildformen noch bis in das Mittelalter als Jagdtiere bedeutsam. Neben der Gattung Bos, aus der die eigentlichen Hausrinder (Rind und Zebu) ebenso wie die Wildform Auerochse (Ur, Bos primigenius) stammen, sind auch die Büffel (Bubalus) und die Bisons (in Europa: Wisente) zu berücksichtigen.
Der Auerochse war zu allen Zeiten ein begehrtes Jagdwild. In der Schweiz gab es beispielsweise um das Jahr 1000 noch so viele Urrinder, dasssie in der Wildbretliste der Benedictiones ad mensas des St. Galler Mönches Ekkehart IV (ca. 980 –1060) zusammen mit Hasen, Murmeltier, Reh, Gemse, Steinbock und Wisent Aufnahme fanden. In Europa verschwand der Auerochse im Laufe des Mittelalters, angefangen vom Westen und Süden aus, fortschreitend nach Osten und Norden, bis 1627 die letzte Urkuh in Polen starb. Abt Rumpler von Vorbach spricht gegen Ende des 15. Jht von Uren im Neuenburger Wald in Niederbayern, und im Jahre 1501 hat Maximilian I fünf lebende Ure öffentlich in Nürnberg ausgestellt, demnach könnte es selbst im Spätmittelalter in den Auen des oberen Rheintales noch Ure gegeben haben. Die starke Bejagung sowie die zunehmende Siedlungstätigkeit des Menschen, die letztendlich zur Einschränkung des Lebensraumes (Rodung und Schneitelwirtschaft, s. u.) dieser Wildrinder führte, verursachten am Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit dann jedoch die Ausrottung des Ur. Auch die Wisente wurden stark zurückgedrängt, konnten sich aber bis heute – nicht zuletzt dank gezielter Erhaltungsprogramme - behaupten.
Jagd auf Auerochsen.
Aus einem englischen Bestiarium, frühes 13. Jh., British Library, 12F XIII
Der Übergang vom Wild- zum Hausrind fand vermutlich ebenfalls im Gebiet des fruchtbaren Halbmonds statt. Thessalische Funde am Übergang vom 7. zum 6. Jt. v. Chr. lassen bereits ein fortgeschrittenes Domestikationsstadium erkennen so dass der Übergang zum Hausrind heute um 8.000 v. Chr. angesetzt wird. Wie beim kleinen Wiederkäuer stand zuerst die Fleischnutzung, früh jedoch auch eine kultische Bedeutung im Vordergrund. Die Milchnutzung lässt sich eindeutig aus Bildwerken um 3.000 belegen, ist aber vermutlich wesentlich älter.
Domestizierte Wasserbüffel gehen auf die asiatische Wildform zurück. Aufgrund der extensiven Haltungsform erfolgte über lange Zeit eine Vermischung von Haus- und Stammform, die eigentliche Domestikation erfolgte wohl bei den Industal-Kulturen des 3. bzw. 2. Jt. v. Chr. Sie wurden vor allem als Zugtiere genutzt. Im Zeitraum vom 1. bis 5. Jh. n. Chr. erreichte der Wasserbüffel das Gebiet am schwarzen Meer.
Zuchtgeschichte in Antike und Völkerwanderungszeit#
Eine züchterische Blütezeit erlebten alle Hauswiederkäuerarten in der römischen Landwirtschaft. Die daraus hervorgehenden Landrassen ebenso wie die etablierten züchterischen Maßnahmen wurden über den Handel weiterverbreitet bzw. über die Tradition der römischen Landwirtschaftsliteratur (v. a. Varro, Columella) erhalten und damit wichtige Grundlage der mittelalterlichen Haltungs- und Zuchtgeschichte.
Im antiken Rom sind Schafe vor allem zur Woll- und Milchproduktion in Massentierhaltung nachweisbar. Es sind bereits große Unterschiede in der Wollqualität zu belegen, so gab es Schafe mit hochwertigen feinwolligen weißen Vliesen, die für die Textilproduktion bevorzugt wurden (siehe: Schafrassen und Wollproduktion). Damit einher geht die Entwicklung echter Landrassen für unterschiedliche Nutzungsformen, die Tiere unterschieden sich in Körpergröße, Wuchsform und Behornung. Die Landwirtschaftsliteratur der Zeit beschreibt bereits den gezielten Einsatz von Futtermitteln wie Luzerne zur Steigerung von Fleisch- und Milchleistung.
Ziegen wurden ebenfalls in Herden von 50 bis 100 Tieren gehalten, im Sommer in Weide-, im Winter in Stallhaltung. Hauptnutzungsrichtung war hier die Milchleistung, entsprechend ist ein hohes Züchtungsniveau nachweisbar. Ziegenhaare wurden für Stricke und Seile verwendet. Es entwickelten sich bestimmte Landschläge, so sollen die italischen Ziegen schon in großem Maße hornlos gewesen sein.
Das Hausrind erlebte in der römischen Landwirtschaft eine markante Größenzunahme im Vergleich zu früheren Zeitstellung bzw. auch zu zeitgleichen oder späteren Zeitstellungen im germanischen Siedlungsgebiet. Während die germanischen Rinder mittlere Widerristhöhen um 110 cm aufwiesen (95 – 135 cm), erreichten die Tiere in römischen und provinzialrömischen Siedlungen im Mittel 127 cm (100 – 150 cm) WDH. Die verschiedenen Nutzungsrichtungen resultierten auch in unterschiedlichen Haltungsformen: Fleischproduktion erfolgte überwiegend extensiv mit Winteraufstallung, Ammenkuhhaltung wurde in der Milch- und Fleischproduktion eingesetzt. Als Arbeitstiere wurden Ochse und Kühe verwendet, überwiegend im Nacken- oder Widerristjoch. Große Tiere, v. a. Ochsen und Stiere, wurden über Nasenringe gelenkt. Die züchterische Bearbeitung resultierte in ersten ‚Rassen’ bzw. Landschlägen. Die römische Landwirtschaftsliteratur beschreibt beispielsweise meist weiße, kleine, zur Arbeit gut geeignete Tiere aus Campanien; große, kräftige, weiße oder rote Rinder aus Umbrien sowie untersetzte, sehr leistungsfähige Rinder aus Etrurien und Latium. Diese ‚Rasse’- Rinder wurden in großem Maße in spätrömischer und frühmittelalterlicher Zeit in germanisches Gebiet importiert. Die einheimischen kleinen germanischen Rassen blieben aber daneben bestehen. Insbesondere in den Küstengebieten der Nordsee gab es bereits früh auf Milchleistung ausgerichtete Landschläge, diese Tiere waren ebenfalls bereits großrahmiger.
Die Milch der kleinen Wiederkäuer ist nährstoffreicher als Kuhmilch und eignet sich daher besser zur Herstellung von Käsen, Butter, Joghurt etc. Frischmilch diente bei den Germanen als Nahrungsmittel, während die Römer daraus überwiegend Käse und andere Milchprodukte herstellten. Die römische Landwirtschaftsliteratur beschreibt den Zusatz von Labferment als Gerinnungsmittel für die Käseherstellung, welches von Schaf- oder Ziegenlämmern gewonnen wurde. Auch weitere gerinnungsfördernde oder geschmacksverändernde Zusätze wie Feigenmilch, Pinienkerne oder Thymian werden beschrieben, ebenso die Arbeitsgänge zur Herstellung von Frisch-, Hand-, Rahm- und Hartkäsen.
Haltung und Einsatz im Mittelalter
Bereits die Landgüterverordnung Karls des Großen - verfasst um 812 n. Chr. - schreibt in Kapitel 23 (Besatzregelung für Großvieh auf den Hofgütern) vor: „Auf jedem unserer Krongüter sollen die Amtmänner einen möglichst großen Bestand an Kühen, Schweinen, Schafen, Ziegen und Böcken halten; fehlen darf dieses Vieh niemals“. Zusätzlich wurde die Haltung von Kühen und Arbeitstieren für Hand- und Spanndienste verordnet. Eine Anweisung zur Vorratshaltung von Fleisch für die Fütterung der Hunde erwähnt noch verschnitte Stiere oder anderes Vieh. Kapitel 35 beschreibt die Mast und die Fettgewinnung durch fette Hammel und Schweine sowie die Mast von mindestens zwei Ochsen, ebenfalls zur Fettgewinnung. In Kapitel 62 (jährlicher Rechenschaftsbericht) werden u.a. Einkünfte aus Häuten, Wolle, Fellen, Hörnern und Fett erwähnt. Kapitel 66 beschäftigt sich mit dem jährlichen Bericht über den Verbleib von Ziegen und Böcken sowie deren Fellen und Hörnern, ebenfalls des aus ihnen hergestellten fetten Salzfleisches. Dies fasst die elementare Bedeutung der Haltung und Nutzung der Wiederkäuer im Mittelalter für die mittelalterliche Agrargesellschaft bereits umfassend zusammen.
Mit der Viehhaltung vergesellschaftete Prozesse wie Schneitelwirtschaft oder Wanderweidehaltung (sogenannte Transhumanz, s. u.) gestalteten die mittelalterliche Kulturlandschaft maßgeblich mit. Unter Schneitelwirtschaft versteht man die Verwendung von Futterbäumen zur Viehfütterung, v.a. bei Aufstallungen in den kühleren Jahreszeiten . Durch Anbau, Hege und das regelmäßige Schneiden der Futterbäume für die Nutztiere entstanden die für diese Wirtschaftsform typischen lichten Wälder und Heckenareale, die jedoch Wildtiere mit ähnlichen Nahrungsansprüchen zusammen mit den parallel vorgenommenen Rodungen zur Feld- und Weidelandgewinnung verdrängten.
Schaf
Bei den Schafen gab es im Mittelalter starke
regionale Unterschiede hinsichtlich Nutzungsrichtung, Haltungsformen sowie Körpergröße
und Wuchsform.
Basierend auf den römischen feinwolligen Wollschafrassen, die dann durch
die Phönizier und später die Mauren dorthin verbreitet wurden, kam
es vor allem im mittelalterliche Spanien zu einer gezielten und hoch spezialisierten
Wollschafzucht, Ahnen des heute wichtigsten Wollschafes
Merino. Auch in Großbritannien ermöglichten die römischen Zuchterfolge
im Mittelalter eine Spezialisierung auf wertvolle Feinwollschafe, insbesondere
in den Regionen Sheffield und Yorkshire (siehe: Schafrassen
und Wollproduktion). Im 13. Jh. repräsentierte die Wolle eines Schafes
ca. die Hälfte seines ganzen Wertes. Vor allem aus England wurde die Wolle
nach Europa zur Weiterverarbeitung exportiert, insbesondere in die Niederlande,
Flandern und Italien, die Zentren für hochwertige Wolltuchproduktion darstellten.
In den meisten anderen Regionen dominierten Landschläge,
die meist zwei- oder dreinutzungsbetont und seltener auf reine Fleisch-, Milch
oder Wollnutzung ausgerichtet waren.
Eine Schafherde mit allen mittelalterlichen Farbschlägen von weiß
über grau bis braun.
Es sind behornte und hornlose Tiere dargestellt,
wobei die hornlosen Tiere vermutlich die weiblichen sind.
Aus einem englischen Bestiarium, 13. Jh., Bodleian Library, Oxford, M.S. Bodley
764
Eine weiße unbehornte Herde mit geschorenen und ungeschorenen Wollschafen
(alternativ, aber eher unwahrscheinlich, könnte es sich auch um eine Darstellung
von typischen
wollfließtragenden neben wildförmigen Haarschafen handeln)
Aus einem englischen Bestiarium, frühes 13. Jh., British Library, 12F XIII
Hinsichtlich der Körpergröße variierte die durchschnittliche WDH zwischen Schafen der Küstengebiete an Nord- und Ostsee und denen des Alpenraumes; erstere waren mit durchschnittlich 63 cm WDH vermutlich aufgrund des besseren Futterangebotes rund 10 cm größer. Es können auch bereits deutliche Unterschiede hinsichtlich der Wuchsform (grob- oder feinrahmig) und Behornung (zweihornig bei beiden Geschlechtern oder nur bei männlichen Tieren, komplett hornlos oder vereinzelt sogar vierhornige Tiere) belegt werden, die für eine erste (Land-)Rassenbildung sprechen. Aus den Schafen der Küstengebiete gingen beispielsweise die Ahnen der modernen Milchschafrassen wie das ostfriesische Milchschaf hervor, während englische Landrassen Vorläufer vieler moderner Fleischschafe darstellen. Bezüglich der rezenten Schafrassen, die dem mittelalterlichen Typen noch heute entsprechen, siehe unter Schafrassen und Wollproduktion).
Ein Schafbock
mit gut entwickeltem weißgrauen Wollvlies und leicht eingerollten Hörnern.
Aus einem englischen Bestiarium, 13. Jh.
Bodleian Library, Oxford, M.S. Bodley 764
Bezüglich der Haltungsformen
muss klar zwischen hochorganisierter Massentierhaltung auf herrschaftlichen
Gütern sowie der kleinbäuerlichen Haltung von Bauern und Landsassen
sowie der Hauptnutzungsrichtung unterschieden werden.
In der Milchproduktion konnten im Mai die Lämmer entwöhnt werden und
die Mutterschafe bis Anfang September gemolken werden. Die gehaltvolle Schafsmilch
wurde zu Käse verarbeitet. Schlachtschafe wurden ausgesondert und (teils
separat) gemästet; aus den Fellen machte man Pelze und aus den Häuten
Pergament (s.u.). Das Bauchfett der Schafe wurde zur Kerzenherstellung (Talg-,
Unschlittkerzen, su.) verwendet, aus dem Dünndarm stellte man Saiten für
Musikinstrumente her und aus den Röhrenknochen schnitze man zum Beispiel
Flöten.
Die Schafweide konkurrierte nicht mit landwirtschaftlichen Nutzflächen,
da Schafe ganzjährig noch auf magersten Wiesen, an Wegrändern und
Feldrainen, auf Waldlichtungen oder auf Stoppelfeldern und Brachen Nahrung fanden.
Auf den abgeernteten Feldern hielten sie dabei das Unkraut nieder und hinterließen
wertvollen Dung. Beste Bedingungen für Schafzucht und Wollproduktion waren
in England gegeben, dessen weite Grünflächen für Getreideanbau
weniger geeignet waren und in dessen feuchtem Klima besonders feine und weiche
Wolle gedieh. Hier leisteten Zisterziensermönche Vorbildliches in der Schafzucht
und machten lukrative Geschäfte mit dem Export von Wollfliesen in die kontinentalen
Tuchzentren. Die großen Abteien hielten Herden mit Tausenden von Schafen.
Dagegen nehmen sich die 2.000 Schafe eher bescheiden aus, die beispielsweise
1311 im niederösterreichischen Zisterzienser-Kloster Zwettl gehalten wurden.
Mittlalterliche
Schafhirten mit Hirtenstab und Flöte.
Luttrell-Psalter.
London, British Library, Add. Ms. 42130. England um 1330-1340
Abbildung von
Pflegemaßnahmen und Melken im Schafspferch.
Luttrell-Psalter. London, British Library, Add. Ms. 42130. England um 1330-1340
Typische Szene
einer Schafschur mit der Schafschere aus einem spätmittelalterlichen Stundenbuch.
Pierpoint Morgan Library, S M.1053 fol. 6r, Stundenbuch, Frankreich, ca. 1490-1500
Vor allem in den Ländern mit derart intensiver
Schafhaltung wie in Spanien und England sowie in Bergregionen und einigen Regionen
in Frankreich und Italien war die Ernährung der Schafherden nur durch die
sogenannte Transhumanz (Weidewanderhaltung, Fernweidewirtschaft,
in Bergregionen auch Sömmerung genannt) zu bewerkstelligen. Die klimatischen
Bedingungen auf der Iberischen Halbinsel erschweren die ganzjährige lokale
Weidewirtschaft: Gebieten mit gemäßigten Wintern mangelt es im Sommer
aufgrund hoher Temperaturen und Trockenheit an Grünfutter und Wasser, im
Sommer futterreiche Weideregionen weisen dagegen recht kalte Winter auf. Die
Viehhalter trieben dementsprechend bereits sehr früh ihre Tiere mit Hilfe
von Wanderhirten in die klimatisch geeigneteren Regionen. Die für die Transhumanz
ebenso wie für den Vieh-Export und Verkauf an großen Handelszentren
genutzten sogenannten Triftwege waren oft breiter als sonstige (Handels-)Straßen,
um die großen Herden bewältigen zu können. Zum Ende des 15.
Jh. sollen ca. 2,5 Millionen Wanderschafe in Spanien umgetrieben worden sein.
Das Schaf hatte neben dem Nutztierstatus auch als Opfertier
noch eine gewisse Bedeutung: auf wikingerzeitlichen Gräberfeldern, in germanischen
Opfermooren und auch in slawischen Burganlagen sind Schafskelette in diesem
Zusammenhang zu finden.
Ziege
Mittelalterliche Ziegen glichen äußerlich noch sehr dem Wildtyp, waren aber klein und schlankwüchsig mit WDH von 60 bis 65 cm. Die Hornform war meist säbelartig gebogen, Belege für hornlose Ziegen stammen vor allem aus Burgen, wo von einer gezielteren Zucht ausgegangen werden kann. Ziegen waren jedoch vor allem für die kleinbäuerlicher Kleinherden- oder sogar Einzelhaltung relevant (als ‚Kuh des kleinen Mannes’). In größerem Maße (wie auch noch heute) wurden Ziegen v. a. in den Gebirgsregionen Südwest- und Südosteuropas sowie im Alpengebiet gehalten – hier machen die Skelettfunde von Ziegen 30 bis 60 % der kleinen Wiederkäuer aus, in anderen Regionen Europas nur 10 bis 20%.
Weißer
Ziegenbock mit deutlich säbelförmigem Gehörn. Aus einem englischen
Bestiarium, 13. Jh.
Bodleian Library, Oxford, M.S. Bodley 764
Eine mittelalterliche Ziegenherde mit verschiedenen Farbschlägen, alle
mit deurlich säbelförmigen Gehörn;
das graue Tier oben sogar mit gedrehtem Gehörn.
Aus einem englischen Bestiarium, frühes 13. Jh., British Library, 12F XIII
Ziegen wurden meist zusammen mit Schafen gehalten,
weshalb eigene Ziegenhirten nicht erwähnt wurden. Nur in Nordwestdeutschland
scheint es eigene Ziegenherden von etwa 20 Köpfen gegeben zu haben. Im
Unterschied zum Schaf fehlen Ziegen dagegen weitestgehend in Fundstätten
der Küstenregionen an Nord- und Ostsee: für Ziegen war hier das Nahrungsangebot
zu reichhaltig und damit unzureichend, es fehlte v. a. das Laubfutter. Die Waldführung
von Ziegen war fast überall verboten, da die Tiere Baumschösslinge
verbissen und durch Klettern Bäume ruinierten. Entsprechend der kleinbäuerlichen
Haltungsweise wurde von Ziegen vom Dung über Fleisch, Milch und Fett fast
der gesamte Tierkörper einschließlich Häuten und Haaren genutzt;
auch der Einsatz als Last- oder Karrentier ist wahrscheinlich, aber nur schwer
nachweisbar. Eine gezieltere Zucht hinsichtlich bestimmter Nutzungsrichtungen
(Milch, Fleisch) fand nur auf herrschaftlichen Gütern bzw. im Umkreis von
Burgen, später auch Städten statt.
Die Verarbeitung der starken Hornzapfen männlicher Tiere sowie von Ziegenleder
(v.a. für hochwertigere Schuhe, Gürtel, Taschen etc.) und von Ziegenhaar
durch entsprechend spezialisierte Handwerke ist ebenfalls auf die Einzugsbereiche
der hoch- und spätmittelalterlichen Städte beschränkt. Dementsprechend
fand eine echte Rassebildung bei den Ziegen erst spät in der Neuzeit statt.
Zu den rezenten Ziegenrassen, die in etwa dem im Mittelalter vorherrschenden
Typen entsprechen, kann man vor allem die einfarbigen - und eher längerhaarigen-
(Land)Rassen bzw. Varianten zählen, so zum Beispiel die graue Bergziege,
die so genannte Stiefelgeiß, die Toggenburger Ziege in der einfarbigen
Variante etc.
Der Wolf lauert
einer Ziegenherde auf.
Naturgeschichtlicher Teil der Condordantiae caritatis des Ullrich von Lilienfeld:
Lilienfeld, Österreich,
Stiftsbibliothek: Codex 151, fol. 222v, um 1350
Jagd auf vermutlich
wilde Ziegen. Originaltext: "Die angeschossene Waldziege frißt Flöhkraut,
das den Pfeil aus der Wunde zieht"
Lilienfeld, Österreich, Stiftsbibliothek: Codex 151, fol. 109vv, um 1350
Rind
Das Rind war im ganzen Mittelalter das wirtschaftlich wichtigste Haustier, da seine Arbeitsleistung neben allen anderen Nutzungsformen elementar war. Insgesamt dominierten im Vergleich zu heute kleinrahmige (durchschnittlich 110 cm WDH), kurzhörnige Rinder. Diese kleinen Tiere entstanden vermutlich durch Anpassung an karge Futter- und Haltungsbedingungen. Es gab allerdings schon deutliche regionale Unterschiede, die sich aus Futterangebot und Zuchtgeschichte herleiten und sich bis in die Neuzeit verfolgen lassen. Die Viehhaltung war durch die überwiegend extensiv geführte Weidewirtschaft begrenzt, die auf minderwertigen, für Ackerbau untauglichen Flächen und auf unkrautreichen Stoppelfeldern (Brachen) betrieben wurde. Nur in bestimmten, für Getreideanbau weniger geeigneten Regionen, so in den norddeutschen Niederungen, in höheren Mittelgebirgslagen und in alpinen Mittellagen, hatte daher die Rinderhaltung eine vorherrschende Stellung. In den nördlichen Küstengebieten mit ausgedehnten Marschen als Weideland (Dänemark, Schleswig-Holstein, Mecklenburg) lassen sich relativ große, schlankwüchsige Bestände nachweisen. Diese sind die Vorläufer unserer heutigen modernen Milchrinder (Holstein-Friesian) bzw. milchbetonten Zweinutzungsrinder (schwarzbunte Niederungsrassen). Weidefläche für Rinder war dagegen in vielen anderen Gegenden dagegen knapp, so dass die Rinder im Sommer oft auf schwerer zugänglichen Höhenweiden gehalten wurden. Hieraus entwickelten sich die anspruchslosen und sehr trittsicheren Höhenviehlandschläge, auf die die heutigen roten Höhenviehrassen oder das Braunvieh zurückzuführen sind. Vergesellschaftet damit entwickelten sich auch spezialisierte Kuh-Hütehunde. Einlagerung von Winterfutter (Heu, Stroh) wurde nur in begrenztem Umfang betrieben, sodass ein Teil des Viehs zu Beginn der Aufstallung geschlachtet wurde und auch der überwinterte Teil des Viehs nur abgemagert und geschwächt das nächste Frühjahr erlebte. In Italien war Weideland besonders rar, deshalb waren die Rinderpreise dort vergleichsweise hoch und es war eher üblich, sich Zugtiere für Feldarbeiten zu leihen, als eigene zu halten.
Ein kraftvoller
roter Bulle. Die Darstellung von Rot- und Gelbvieh
dominiert in den mittelalterlichen Bildquellen. Aus einem englischen Bestiarium,
13. Jh.
Bodleian Library, Oxford, M.S.
Bodley 764
Bei einer Widerristhöhe von 100 cm bis 135 cm, einem Körpergewicht von 3 bis 4 Zentnern und einem Gemelk von ca. 3 l/Tag waren Fleisch- und Milchleistung zwar wesentlich geringer als heute, dennoch stellten Nahrungsmittel wie Käse, Butter und Rindfleisch wichtige Erzeugnisse dar. Der Nutzen der Rindviehhaltung vermehrte sich durch Ledergewinnung aus Rindshäuten (für Gürtel, Schuhe, Transportbehältnisse, Sättel, Zaumzeug, Blasebälge etc.); durch Verwendung von Rinderhaar in der Filzherstellung, beim Mörtelmachen und als Polstermaterial; durch Schnitzereien aus Rinderknochen (Beinschnitzerei: Würfel, Paternoster-Perlen, Beschläge, Kämme u.ä.); Nutzung der Knochen zur Leim- und Seifenherstellung; der Hörner (Hornschneiderei) zur Herstellung von Blasinstrumenten, Kämmen, Scheiben für Laternen, Behältnissen für Wetzsteine, Griffen für Messer und Werkzeuge; der Sehnen für Armbrüste und Bogen und als Angeln an Dreschflegeln und Glockenklöppeln; des Talgs für Kerzen, Seifen und Schmiermittel; der Kalbsfelle für die Pergamentherstellung; der Därme als Wursthüllen; der Harnblase für Sackpfeifen, Fensterglasersatz und Schwimmhilfe; der Exkremente als Düngemittel (Rinder der damaligen Größe lieferten täglich ca. 16 – 20 kg Kot und Harn).
Monatsbild Dezember
aus einem mittelalterlichen Breviarium mit der Darstellung einer Rinderschlachtung.
Überzähliges Vieh wurde so vor dem Winter zur Fleischgewinnung genutzt,
auch um Winterfutter zu sparen.
Brevier, Paris, um 1285-1297
Der höchste Wert des Rindes lag indes in der Zugleistung vor Pflug, Egge und Wagen. Zugrinder (überwiegend Ochsen, in geringerem Maße auch Kühe) waren die wertvollsten Helfer in der Landwirtschaft und beim Transport von Heeresausrüstung, Handelsgütern und Baumaterial. Sie gingen paarweise nebeneinander im Joch oder waren mit dem Stirnblatt hintereinander angeschirrt. Die Tagesstrecke eines Ochsengespannes dürfte etwa 15 km betragen haben.
Ausgespannte
rote Zugochsen am Pflug. Österreich, um 1350.
Lilienfeld, Österreich, Stiftsbibliothek: Codex 151, fol. 222v, um 1350
Roter und grauer
Zugochse in typischer Anspannung vor dem einachsigen Wagen. Österreich,
um 1350.
Lilienfeld, Österreich, Stiftsbibliothek: Codex 151, fol. 74v, um 1350
Rote und dunkle
Zugochsen im Vierergespann vor dem Pflug.
Luttrell-Psalter. London, British Library, Add. Ms. 42130, fol. 170. England
um 1330-1340
Entsprechend wichtig war die tierhalterische Maßnahme der Kastration, sie wird beispielsweise schon in den fränkischen Stammesrechten aus dem 6. Jh. n. Chr. erwähnt. Die Kastration von Bullenkälbern erfolgte unblutig durch Zerquetschen der Hoden, Jungstiere wurden mit dem Messer kastriert, wobei die Samenstränge zur Verhinderung von Blutungen zwischen hölzernen Schienen (Kluppen) gequetscht wurden. Außer zur „physiologischen Zähmung“, im Sinne einer leichteren Handhabung, diente die Kastration männlicher Rinder wie der anderen Wiederkäuer auch zur Steigerung der Mastleistung. Ca. mit 4 Jahren wurden die Ochsen unter das Joch genommen und dann für ca. 4 bis 5 Jahre gearbeitet, um danach noch aufgemästet und geschlachtet zu werden. Auf großen Landgütern wurden schwere Lasten achtspännig gefahren, üblicher war aber der Vier- oder Zweispänner.
Deutlich erkennbar
ein noch unverschnittener Stier.
Luttrell-Psalter. London, British Library, Add. Ms. 42130, fol. 170. England
um 1330-1340
Aus dem Tierbuch
des Konrad von Megenberg: Ein Stier wird verschnitten.
Lilienfeld, Österreich, Stiftsbibliothek: Codex 151, fol. 14v, um 1350
Um den wachsenden Fleischbedarf in den Ballungsgebieten Mitteleuropas (z.B. Lombardei, Flandern, Schwaben, Nürnberger-Oberpfälzer Raum) decken zu können, wurden im Spätmittelalter jährlich zwischen April und Oktober etwa 200.000 Schlachtochsen in Herden von mehreren Hundert auf festgelegten Routen („Ochsenstraßen“ oder Triftstraßen, s.o.) in die Vermarktungsorte getrieben. Sie stammten aus den Fürstentümern Moldau und Walachei, aus Jütland und von den dänischen Inseln, besonders aber aus Ungarn. Hier war durch Zuchtwahl bis zum 14./15. Jh. aus dem Steppenrind eine weißgraue, genügsame Rasse mit ausladenden Hörnern entstanden, die sich besonders zum Treiben über große Strecken eignete. Jede Herde wurde von 5 oder 6 berittenen Treibern unter einem "Ochsenkapitän" zusammengehalten. Die Verluste scheinen äußerst gering gewesen zu sein, was auf erstklassige Organisation von Wasser- und Futterversorgung, Rastplätzen, Flussüberquerungen, Städtepassagen und auf hohes Können der Treiber schließen lässt. Die ungarische Ochsenstraße begann am Donauknie bei Gran und führte über Wien, St. Pölten, Enns, Schärding, Passau und Straubing nach Regensburg; weiter über Nürnberg und Aschaffenburg in den Rheingau. Die geschilderte Strecke betrug ca. 1.200 Kilometer; bei einer durchschnittlichen Tagesstrecke von 15 km und einigen Rasttagen wurde sie in ca. vier Monaten bewältigt. Um den ohnehin unzulänglichen Zustand der Fernstraßen nicht zusätzlich zu verschlechtern, führten die Ochsenwege abseits der Straßen über festgelegte Routen, an deren Verlauf die Anrainer – durch Bereitstellung von Rastplätzen, Trinkwasser, Viehfutter und Mannschaftsverpflegung – über den Ausgleich der von Herden verursachten Schäden hinaus noch gut verdienten.
Büffel
Schriftquellen des frühen Mittelalters berichten über die Ausbreitung des Büffels durch die Awaren in das Karpatenbecken zum Ende des 6. Jh. n. Chr. Allerdings ist umstritten, ob hier tatsächlich Büffel oder doch das europäische Bison, also das Wisent gemeint ist. Im 9. Jh. gab es kleinere Büffelherden in Süditalien (auch heute werden Büffel in Italien zur Milchproduktion z. B. für die lokale Käsespezialität Mozarella gehalten); eine altungarische Schriftquelle aus der Mitte des 13. Jh. erwähnt die Unterbringung von Büffeln in Pferchen, was auf eine gezielte Züchtung und Haltung hinweist. Damit entspricht die Verbreitung des Büffels im Mittelalter ungefähr der heutigen, nämlich v. a. in Süd- und Südosteuropa. Gelegentlich gelangten Büffel sogar bis nach Zentral- und Westeuropa, waren hier jedoch von untergeordneter Bedeutung und wurden vor allem als Zugtiere eingesetzt.
Seltene Darstellung
von Packtieren an einem Tränk- oder Badebecken;
bei den dargestellten Tieren könnte es sich durchaus um Büffel handeln.
Man beachte auch das Führen am Nasenring.
Hier wird explizit
ein Büffel erwähnt: "bubalus".
Der Text dazu sagt: "Der Büffel bleibt beharrlich unter seiner Last
liegen, auch wenn man ihn schlägt"
Lilienfeld, Österreich, Stiftsbibliothek: Codex 151, fol. 114v, um 1350
Pergament und Talg –heute fast vergessene Nutztierprodukte
Zwei Produkte aus der mittelalterlichen Nutztierhaltung, deren damalige Wichtigkeit uns heute nicht mehr bewusst ist, seien hier besonders herausgestellt.
Das Pergament,
ein Beschreibstoff aus Tierhäuten, kam aus dem Orient kam über Rom
und Byzanz nach Europa und war vom 8. bis zum 14. Jh. das beherrschende Material.
Danach wurde es von dem billiger herzustellenden Papier verdrängt. Anleitungen
zur Pergamentherstellung finden sich in vielen mittelalterlichen handschriften.
Pergament wurde aus feinen, ungegerbten Schafs-, Ziegen- oder Kälberfellen
hergestellt. Welche Bedeutung die Ziegenhaltung allein für die Pergamentherstellung
hatte, erweist sich anhand der erhaltenen St. Gallener Pergamente aus dem 8.
bis 10. Jh.: diese bestehen zu etwa je 40 % aus Schaf- und Ziegenhäuten
und zu ca. 20 % aus Kalbshäuten. Pro Kalbfell erhielt man eine, höchstens
zwei Pergament-Doppelblätter (bifolia); demnach musste für
einen einzigen Codex eine mittlere Herde ihr Leben lassen. Farbton und Stärke
variierten je nach Ausgangsmaterial und Herstellungstechnik. Feinstes, hauchdünnes
Pergament etwa in der Stärke von Papier, wurde von Kälber- und Lammfeten
gewonnen – also ungeborenen Tieren. Auf Rahmen gespannt diente Pergament auch
als Fensterverschluss.Hersteller und Hauptverbraucher waren die Klöster;
die Hauptarbeit einschließlich Zuschneiden, Falzen und Pressen wurde von
Laienbrüdern erledigt, der gelehrte Bruder scriptor war nur noch
zuständig für ein letztes Glätten des Pergaments mit feinkörnigem
Bimsstein oder einem Eberzahn, sowie das Grundieren mit Kreide oder mit Haftmitteln
für Tinte und Malfarben. Vom Hochmittelalter an traten auch weltliche Pergamentmacher
auf, die ihre Ware zu Dutzenden abgepackt in Klöstern und Kanzleien feilboten.
Die Codex-Form des Buches entwickelte sich erst mit den zäh-elastischen
Pergamentbögen, welche sich scharf knicken und problemlos zu einem Band
vernähen ließen. Die bis heute noch üblichen gängigen Buchgrößen
ergeben sich aus der Fellgröße der verwendeten Kälber, Schaf-
und Ziegenhäute.
Als Talg bezeichnet man das Netz-, Darm- und Nierenfett (Unschlitt) von Rind, Hammel, Ziege und Hirsch. Es ist durch einen relativ hohen Schmelzpunkt (ca. 60° C) charakterisiert, ist also bei ‚Zimmertemperatur’ fest bis weich-verformbar und wurde durch Ausschmelzen und Filtrieren gewonnen. Die größte Verwendung fand es sicherlich als kostengünstiger Lichtträger in Form von Talgkerzen und –lampen in vermutlich fast jedem mittelalterlichen Haushalt. Als materia medica wurde es u.a. zur Herstellung von Pflastern benutzt. Im gewerblichen Gebrauch wurde es zur Herstellung von Seife und Talgkerzen verwendet sowie als Schmälzmittel im Textil- und Gerberhandwerk. Außerdem ersetzte Talg das teuere Wachs bei der Herstellung von Formen für die Glocken- und Geschützgießerei.
Die Wiederkäuer in mittelalterlichen Bild- und Schriftquellen
Im mittelalterlichen Bildgut lassen sich die bereits erwähnten verschiedenen Schaf- und Rinder’rassen’ gut belegen.
Rinder werden überwiegend als Rot- und Blondvieh abgebildet, daneben finden sich auch graue oder braune Tiere. Interessanterweise finden sich auf Abbildungen aus Frankreich oder Italien, also Gegenden, in denen auch noch heute viele helle und weiße schwere Rinderrassen existieren, häufig weiße Zugochsen, während ansonsten meist Gelb- oder Rotvieh dargestellt ist. Inwieweit dies ikonographisch zu deuten ist oder aber tatsächliche typische geographische Farbschläge wiedergibt, ist bisher nicht zu beurteilen. Auffällig ist, dass - zumindest soweit der Autorin bisher bekannt - bis zum Spätmittelalter ausschließlich einfarbige Rinder in den mittelalterlichen Bildquellen dargestellt werden - in Farbschlägen von dunkelbraun über gelb und rot bis fast weiß. Abbildungen zwei- oder mehrfarbiger Rinder tauchen anscheinend erst in Bildwerken des 15. Jahrhunderts auf (siehe Bildbeispiele). Der Behornungsgrad ist recht unterschiedlich und reicht von Auerochsen-ähnlich lang- bis unbehornt.
Herumtollende
rote und braune Kälber als Sinnbild für Unschuld und Ausgelassenheit.
Aus einem englischen Bestiarium, 13. Jh.
Bodleian Library, Oxford, M.S. Bodley 764
Mehrfarbige oder gescheckte Rinder erscheinen erst in Bildwerken
des Spätmittelalters.
Hier ein Beispiel mit rotbuntem Vieh vom Flügelaltar aus Klosterneuburg,
Niederösterreich, um 1440
(Bilddatei entnommen aus: http://tethys.imareal.oeaw.ac.at/realonline/)
Spätmittelalterliche Kalenderillumination. Brüssel,
Belgien, um 1500:
Während das Sternzeichenmedaillon ("taurus") mehr oder weniger
die Wildform darstellt (Auerochsen-ähnlich),
zeigt die Szene bäuerlicher Tätigkeiten mehrfarbige Rinder: schwarzbunte
Rinder mit weißen Extremitäten (vorne, Melkszene)
oder weißen Köpfen und weißen Extremitäten (hinten) bzw.
Rotbunte mit weißen Köpfen und weißem Unterbauch-/Unterbrustbereich.
Man beachte auch die verschieden gefärbten behornten Ziegen.
Pierpont Morgan Library Manuscript Ms.52, fol. 3v.
Ähnlich verhält es sich mit Darstellungen von Schafen: hier finden sich überwiegend Abbildungen weißer oder grauwolliger Tiere mit gut entwickeltem Vlies, allerdings auch alle anderen bis heute vertretenen Fell-/Wollfarben von grau (im Tierhalterjargon auch als blau bezeichnet, wie in der Rasse ‚Bleu de Maine’) über braun bis schwarz. Schwarze Tiere kommen überwiegend als Einzeldarstellung zum Einsatz und haben damit sicherlich Symbolcharakter. Seltener sind auch gefleckte Tiere dargestellt. Wie bereits erläutert finden sich kurz- und langhornige, unterschiedliche stark gedrehte sowie zwei-, vier- oder unbehornte Formenvariationen vor. Ziegen sind im Bildgut manchmal schwer von Schafen zu unterscheiden, sicher gelingt dies durch die typische lange Säbelform bei behornten Tieren. Die Farbschläge reichen von weiß über grau, hellbraun bis braun-schwarz, meist längerhaarig dargestellt. Mehrfarbige Tiere sind der Autorin aus dem mittelalterlichen Bildgut bisher nicht bekannt.
Tierhalterische und tierzüchterische Maßnahmen wie das Anpflocken, Führen über Nasenringe, Fixieren durch Stricke z. B. beim Melken, Kastration etc. lassen sich in den illustrierten naturkundlichen Werken sowie reichlich in Monatsdarstellung der Stundenbücher und Kalendarien finden. Außerdem wird der Verlust von wertvollem Vieh durch Wildtiere wie Wolf oder Fuchs häufig dargestellt.
Der Melkvorgang
an einer dafür fixierten roten Mutterkuh. Aus einem englischen Bestiarium,
13. Jh.
Bodleian Library, Oxford, M.S.
Bodley 764
Gelbfarbiger
Ochse, der am Nasenring geführt wird. Aus einem englischen Bestiarium,
13. Jh.
Bodleian Library, Oxford, M.S. Bodley 764
Im Vordergrund
das Melken eines Schafes,
im Hintergrund überwiegend weiße Schafherde mit einem (symbolbeladenem?)
schwarz-braunen Schaf im Pferch.
Tacuinum sanitatis, Wien Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob.
S. n. 2644, Oberitalien um 1390
Außerdem wird der Verlust von wertvollem Vieh durch Wildtiere wie Wolf oder Fuchs häufig dargestellt und spiegelt damit reale Ängste und Bedrohungen der mittelalterlichen Bevölkerung wieder.
Der Wolf lauert
bricht in einen Schafstall ein.
Lilienfeld, Österreich, Stiftsbibliothek: Codex 151, um 1350, fol. 164v
Ein immer wiederkehrendes
Bildmotiv, dass reale Ängste widerspiegelt: Ein Wolf raubt ein Lamm. Stundenbuch
der Charlotte von Savoyen.
Pierpoint Morgan Library, S M.1004 fol. 130r, Paris, Frankreich, ca. 1420-1425
Wölfe rauben
Lämmer und Zicklein und nagen diese bis auf die Knochen ab.
Pierpoint Morgan Library, S M.1004 fol. 22v, Paris, Frankreich, ca. 1420-1425
Details zu Verarbeitung von Nutztierprodukten zu Lebensmitteln und Gebrauchsgütern belegen die im Spätmittelalter weit verbreiteten Haus- und Gesundheitsbücher. In der Naturkunde der Hildegard von Bingen wird das Fleisch von Wisent, Schaf und Ziege als gesund und bekömmlich beschrieben, auch als stärkende Speise für Kranke, hier insbesondere als Grundlage für stärkende Brühen. Ein Geschabsel vom Wisenthorn gilt als Heilmittel gen Tierseuchen („schelmo“). Die Milch der Kühe und anderer Tiere soll im Winter heilkräftiger sein als im Sommer und Kuhbutter gesünder als Schafs- oder Ziegenbutter. Hildegard erwähnt auch verschiedene Käseformen und ihre Verwendung, so harten und trockenen sowie weichen und frischen Käse. Viele Details über Tierhaltung und die Gewinnung von Lebensmitteln erfährt man über die mittelalterlichen Haus- und Gesundheitsbücher, insbesondere das weitverbreitete Tacuinum sanitatis, dessen Text aus dem 11. Jh. stammt und dessen illustrierte Ausgaben aus dem 14. und 15. Jh. in dieser Hinsicht besonders interessant sind.
Käsehändler
(links) und Käseproduktion (rechts mit verschiedenen typischen Utensilien
wie Kochkessel, Abtropfsiebe, Schöpflöffel etc.
Daneben der Schafhirte mit Hirtenstab und Hirtenhund.
Tacuinum sanitatis, Wien Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob.
S. n. 2644, Oberitalien um 1390
Links: Kombinierte
Darstellung von Schafschlachtung und Fleischereiverkauf.
Rechts: Darstellung eines mittelalterlichen Schlachtbetriebs, hier werden gerade
Ziegen ausgeblutet und ausgewaidet, während eine Mutterziege ihr Zicklein
säugt.
Die dargestellten hygienischen Verhältnisse (Ziegenkot und Blut vermischen
sich am Boden) sind sicherlich als realistisch einzustufen.
Tacuinum sanitatis, Wien Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob.
S. n. 2644, Oberitalien um 1390
In den beliebten mittelalterlichen Tierbüchern (Bestiarien) wird insbesondere der Symbolgehalt von Tierdarstellungen erläutert, wodurch entsprechende zeitgenössische Bildinhalte bis heute schlüssig interpretiert werden können. Das Schaf steht beispielsweise für Opfertier, Unschuld und Geduld, das Lamm verkörpert Jesus („Lamm Gottes“), ebenso werden Hirten als Abbild Jesu im Sinne des „guten Hirten“ gewertet. Der Ziegenbock gilt dagegen als störrisch, lasziv und geil und steht oft als Sinnbild für den Teufel oder Verführer. Kälber stehen meist für Unschuld oder Opfertier, eine rote Färse (weibliches Rind vor der Geburt des ersten Kalbes) steht insbesondere als Sinnbild für das Opfer Christi.
Wertvergleiche zwischen Tierarten und Nutzungsformen ermöglichen beispielsweise die Angaben aus hochmittelalterlichen Rechtsbüchern wie dem Sachsenspiegel. Eine Ziege war demnach 3 Pfennige, ein Lamm oder Kalb 4 Pfennige, ein Rind 48 Pfennige, ein Zugochse dagegen 96 Pfennige wert. Ähnliche Wertverhältnisse ergeben sich aus frühmittelalterlichen germanischen Stammesrechten, so ist der (Zug-)Ochse doppelt bis fünfmal so viel wert wie ein Schaf, und die Ziegen sind unter den Fleischlieferanten immer die am wenigsten wertvollen. Der Lämmerzehnt musste zu Walpurgis (1. Mai), der Fleischzehnt (Rinder, Kälber) zu Johannis (24. Juni) abgegeben werden.
Als Beispiel für mittelalterliche
Landwirtschaftsliteratur sei der englische Walter of Henley
angeführt, dessen ca. 1275 entstandenes, auf französisch geschriebenes
Buch Le Dite de Hosebondrie das Management auf den herrschaftlichen
Gütern beschreibt und nachfolgend weite Verbreitung fand. Walter beschreibt
u.a. die Milchleistung von Schafen und Rindern und stellt fest, dass bezüglich
der jährlichen Milchmenge ca. 10 Schafe auf eine Kuh kommen. Mittelalterliche
tierheilkundliche Schriften über Rinder, Schafe und Ziegen finden sich
viel seltener als solche über die höfisch relevanten Tiere wie Pferde,
Hunde und Falken. Rinderheilkundliche ‚Anhänge’ sind manchmal jedoch den
pferdeheilkundlichen Schriften beigefügt. Über die spätmittelalterliche
Nutztierheilkunde am Anfang des 14. Jahrhunderts informiert ein enzyklopädisch
angelegtes Buch des Petrus de Crescentiis (1240 - 1320), hier begegnet
man auch erstmalig der Bezeichnung marescalci boum für den Rinderpraktiker.
Über den Stand der Heilkunde beim Kleinvieh informieren v.a. die Agrarkompendien
und sogeannten Hausbücher, seltener die Rossarnzeischriften. Ab dem Spätmittelalter
wird das anspruchsvollere Rasse-(Woll-)Schaf diesbezüglich interessant
und es entsteht auch Spezialliteratur zu häufigen Schafkrankheiten wie
Räude, Moderhinke oder Milzbrand.
Tierhalterische
Maßnahmen aus dem naturgeschichtlichen Teil der Condordantiae caritatis
des Ullrich von Lilienfeld:
Links: Die Farbe einer Ader unter
der Zunge soll die Farbe der Lämmer bestimmen (29v);
rechts: Mastfütterung mit Gerste (154v).
Lilienfeld, Österreich,
Stiftsbibliothek: Codex 151, um 1350
Tierheilkundlich Relevantes aus
dem naturgeschichtlichen Teil der Condordantiae caritatis des Ullrich von Lilienfeld:
Links: Junge Schafe, die sich
überfressen, sterben
(28v); Mitte: eine Seuche befällt das Vieh (243v); rechts: Ziegen verenden
nachdem sie an Honig geleckt haben (74v).
Lilienfeld, Österreich,
Stiftsbibliothek: Codex 151, um 1350
Dieser Artikel erschien bereits in gekürzter Form in:
Hirschberg, R. M. (2011) Mit Haut und Haaren - die vielfältige Nutzungsgeschichte
der Wiederkäuer im Mittelalter.
Karfunkel - Zeitschrift für erlebbare Geschichte 92: 36-42 (ISSN 0944-2677)
Die Bilder des Codex 151, Lilienfeld sind alle entnommen von der Seite des Instituts für mittelalterliche Realienkunde (Imareal): http://tethys.imareal.oeaw.ac.at/realonline/
# überwiegend nach Benecke, 1994
Quellen und weiterführende Literatur:
Richard Barber. Bestiary. Boydell Press, Woodbridge, 1999
Norbert Benecke. Der Mensch und seine Haustiere – Die Geschichte einer jahrtausendealten Beziehung. Theiss, Stuttgart, 1994
Marc Carlson. Cattle in the Middle Ages. Internetpublikation: http://www.personal.utulsa.edu/~marc-carlson/history/cattle.html (01.12.2010)
Angela von den Driesch, Joris Peter: Bäuerliche Wirtschaftstere. In: Geschichte der Tiermedizin – 5000 Jahre Tierheilkunde. 2. Aufl. Schattauer, 2003, S. 110-114
Die Kapitel des Capitulare de villis. Biologisches Zentrum Aachen: Internetpublikation: http://www.biozac.de/biozac/capvil/cvkapitel.htm (01.12. 2010)
Hildegard von Bingen. Das Buch von den Tieren. Übersetzt und erläutert von Peter Riethe. Otto Müller Verlag, Salzburg, 1996
Lexikon des Mittelalters. Deutscher Taschenbuch Verlag, 2002
Frank Meier. Mensch und Tier im Mittelalter. Thorbecke Verlag, Ostfildern, 2008
Joyce E. Salisbury. The beast within – animals in the middle ages. Routledge, London, 1994
Peter C. A. Schels.: Kleine Enzyklopädie des deutschen Mittelalters, 2006. Internet-Publikation: http://u0028844496.user.hosting-agency.de/malexwiki/index.php/Hauptseite (01.12.2010)
The Aberdeen bestiary project. University of Aberdeen. Internetpublikation: http://www.abdn.ac.uk/bestiary/ (26.05.2010)
Triftwege in Spanien. Wikipedia. Internetpublikation: http://de.wikipedia.org/wiki/Triftwege_in_Spanien (01.12.2010)